Die Datendirigenten

Technisch herausfordernd, strategisch unerlässlich: Um komplexe Entwicklungs- und Produktionsprozesse zu orchestrieren, müssen Unternehmen verschiedene IT-Systeme und ihre Daten integrieren.

Um sich strategisch wettbewerbsfähig aufzustellen, dürfen produzierende Unternehmen sich nicht im Klein-Klein der Einzellösungen verlieren. Statt nur zu fragen, was für jeden Geschäftsprozess die richtige Software ist, sollten sie deshalb eher aktiv an einer konsequenten Datendurchgängigkeit arbeiten, die sich an den wertschöpfenden Tätigkeiten im Unternehmen orientiert. 

Denn wie die Instrumente eines Orchesters haben die verschiedenen IT-Systeme im Unternehmen ihre ganz eigene Rolle: Während die Klarinette gerade im Solo brilliert, sorgen die Geigen für einen Klangteppich und der Paukenschlag verkündet das Ende des Satzes. Jeder dieser Klänge basiert letzten Endes auf demselben Medium – was im Orchester die Schwingungen der Luft sind, sind im Unternehmenskontext die Nullen und Einsen der Daten. Während bei den Streichern die Saiten und bei der Percussion die Trommelfelle vibrieren, geben in einer hochdigitalisierten Produktion die Daten den Ton an. Und so hat auch jedes IT-System seinen eigenen »Klang«: Ob klassischerweise Engineering-fokussierte Systeme wie PLM (Produktlebenszyklusmanagement) oder fertigungsorientierte Systeme wie ERP (Enterprise Resource Planning), sie alle haben jeweils eigene Funktionen in produzierenden Unternehmen. Um diese hochspezialisierten Instrumente zu einem stimmigen Ganzen zu vereinen, müssen sie zusammengehalten und integriert werden. Wie können Ingenieurinnen und Ingenieure als Datendirigenten den Takt entlang des Produktlebenszyklus angeben?

Die Komplikation bei der Integration

Für eine gut orchestrierte Systemlandschaft ist es entscheidend, den Datenfluss zwischen den verschiedenen Systemen eines Unternehmens zu optimieren. Dazu müssen möglichst alle unternehmenseigenen IT-Systeme wie PLM, ERP, IoT, nahtlos ineinander integriert werden. Idealerweise können Unternehmen mithilfe der eingesetzten Systeme alle lebenszyklusbezogenen Daten ihrer Produkte verwalten – von der ersten Idee über die Entwicklung und Fertigung bis hin zur Wartung und Entsorgung. So unterstützen die Systeme entlang der unternehmensinternen und -externen Prozessketten dabei, Produkte effizienter zu entwickeln und zu fertigen, die Zusammenarbeit zu verbessern und eine durchgängige Datenhaltung für weitere Geschäftsprozesse sicherzustellen. 

Häufig erschweren jedoch über Jahre hinweg aufgebaute, heterogene IT-Landschaften die Verknüpfung der Daten. IT-Systeme, die auf unterschiedlichen Technologien basieren, miteinander zu verbinden, ist eine technische Herausforderung, die eine sorgfältige Planung und Implementierung erfordert. Hinzu kommt die Vielfalt der damit verbundenen unterschiedlichen Datenformate und -modelle. Eine erfolgreiche Integration ist dann nur möglich, wenn Datenmodelle harmonisiert werden, um konsistente Informationen über alle Systeme hinweg zu gewährleisten.

In vielen Branchen nimmt darüber hinaus die Sensibilität und Regulierung hinsichtlich Datensicherheit und Compliance zu. Digitalisierung und Vernetzung bergen auch Sicherheitsrisiken. Besonders im Kontext von IT-Systemen, in denen sensible produkt- und prozess-bezogene Daten verwaltet werden, müssen hohe Sicherheitsstandards eingehalten werden. Auch regulatorische Anforderungen wie Datenschutz oder branchenspezifische Vorschriften wie zum Beispiel in der Medizintechnik spielen eine wichtige Rolle.

Sichere Datenräume schaffen

Um sich während des Konzerts zu orientieren, brauchen Dirigentinnen und Dirigenten besonders komplexe integrierte Notensätze, in denen alle Instrumente notiert sind. Diese geben ihnen einen gut strukturierten Raum vor, innerhalb dessen sie dirigieren können. Auch Unternehmen benötigen solche Rahmen, um ihre Datenverknüpfung und -integration zu optimieren. Hier kommen Initiativen wie Gaia-X und Catena-X ins Spiel. 

Die europäische Initiative Gaia-X zielt darauf ab, eine sichere und vertrauenswürdige Dateninfrastruktur zu schaffen, bei der die Datensouveränität der Unternehmen gewahrt wird. Eine föderierte Cloud-Infrastruktur ermöglicht es, Daten sicher zu speichern und zu teilen. Besonders im Bereich der Produktentwicklung, wo oft große Mengen an Informationen anfallen, bietet die Integration mit Gaia-X eine skalierbare und sichere Lösung für deren Austausch und die Speicherung. So behalten Unternehmen auch in der Cloud die volle Datenhoheit und -kontrolle. Ein weiterer Vorteil von Gaia-X ist die Förderung von Interoperabilität. Durch die Definition offener Standards und Protokolle erleichtert Gaia-X den Austausch zwischen verschiedenen Cloud-Diensten und IT-Systemen. Dies ermöglicht es Unternehmen, ihre PLM-Systeme nahtlos mit anderen Systemen zu verknüpfen und so den Informationsfluss über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg zu optimieren.

Auf der so geschaffenen gemeinsamen Dateninfrastruktur setzt Catena-X auf, ein zunächst automobilbezogenes Netzwerk, in dem Zusammenarbeit und Datenaustausch in der Zuliefererkette verbessert werden sollen. Ziel ist es, eine durchgängige und transparente Datenverknüpfung entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu ermöglichen. Catena-X basiert auf einer offenen, standardisierten Plattform, die Hersteller und Zulieferer miteinander vernetzt und den sicheren Austausch von Daten erleichtert. Ein zentraler Aspekt ist auch bei Catena-X wieder die Einhaltung der Datensouveränität im gesamten Produktlebenszyklus. Jedes Unternehmen behält die volle Kontrolle über seine Daten und entscheidet, mit wem und zu welchem Zweck diese geteilt werden.

Dank der Catena-X-Lösungen können Unternehmen Daten sicher mit anderen Unternehmen entlang der Lieferkette austauschen, was ihre gesamte Wertschöpfung effizienter und transparenter macht. Darüber hinaus verbessern standardisierte Schnittstellen und Datenformate die unternehmensübergreifende Interoperabilität. Catena-X gibt damit den Auftakt für eine neue Qualität der Kooperation in der Automobilindustrie – denn Harmonie ist eben nicht nur im Orchester entscheidend.

Datenverknüpfung und -integration: Die Grundlagen

Diese Aspekte sind bei der IT-Systemintegration aus PLM-Perspektive besonders wichtig:

Datenquellen

Idealerweise sollten IT-Systeme auf eine gemeinsame, zentrale Datenquelle zugreifen. So wird sichergestellt, dass keine doppelten oder widersprüchlichen Informationen in den verschiedenen Systemen vorliegen. Besonders im PLM-Umfeld ist dies entscheidend, da hier oft dieselben Daten in verschiedenen Kontexten genutzt werden – etwa bei der Konstruktion, der Fertigung und dem End-of-Life.

Datenmodellierung

Die Erstellung kompatibler Datenmodelle ist aus PLM-Perspektive ein zentraler Punkt. Durchgängige Datenmodelle sorgen dafür, dass Daten konsistent über verschiedene Systeme hinweg genutzt werden können. Dabei geht es auch um die Harmonisierung von Stammdaten wie Produktnummern oder Lieferantendaten und darum, sicherzustellen, dass alle relevanten Informationen in den jeweiligen Systemen verfügbar sind.

Datenschnittstellen

Um den Datenaustausch zwischen verschiedenen IT-Systemen zu ermöglichen, ist ein effektives Schnittstellenmanagement essenziell. Daten müssen zwischen den Systemen schnell und sicher fließen. Im PLM-Kontext ermöglicht dies beispielsweise den Zugriff auf aktuelle Produktdaten aus dem ERP-System oder die nahtlose Übergabe von beispielsweise EBOM (Engineering Bill of Materials) und MBOM (Manufacturing Bill of Materials) aus dem PLM- in das ERP-System.

Förderhinweis

Catena-X wird durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert. 

Catena-X

Catena-X ist eine Initiative der deutschen Automobilindustrie zur Schaffung einer gemeinsamen Dateninfrastruktur für die gesamte Wertschöpfungskette der Automobilindustrie.