Alles da?

Reklamationen wegen fehlender Instrumente im OP gehören zum Klinikalltag. Mit einem KI-basierten System zur automatisierten Vollständigkeitsprüfung soll dies künftig vermieden werden.

Medizinische Instrumente, hier im nicht-sterilen Zustand

Rund 3500 Medizinprodukte werden in deutschen Universitätskliniken täglich unter strengsten Hygiene- und Qualitätsstandards für chirurgische Eingriffe vorbereitet und zu den Anwenderinnen und Anwendern geliefert. Auf ein Packsieb, auch Tray genannt, von der Flächengröße eines DIN A3-Blattes passen bis zu 160 Scheren, Pinzetten, Klemmen und andere Instrumente. Diese müssen vor dem Gebrauch in Aufbereitungseinheiten für Medizinprodukte gereinigt, desinfiziert, verpackt und sterilisiert werden. Eine anspruchsvolle Aufgabe, denn Reklamationen aus dem OP aufgrund fehlender Instrumente gehören zur Tagesordnung.


Nadel im Heuhaufen

Aber ist die gesuchte Klemme tatsächlich nicht da oder findet das OP-Team sie nicht unter den vielen, optisch sehr ähnlichen Instrumenten? Ist die Reklamation berechtigt oder nicht?

Diese Frage können Dienstleistungsunternehmen wie die Charité CFM Facility Management GmbH nur im Nachhinein untersuchen, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Trays wieder manuell befüllen und anhand der Packliste prüfen, ob alle benötigten Instrumente vollzählig enthalten sind. Anschließend werden die Siebe verpackt, verplombt, sterilisiert und zurück zu den Anwendenden gebracht. Durch Scannen von eindeutigen Barcodes an festgelegten Scanpunkten ist die CFM in der Lage, OP-Siebe auch nach Verlassen der Aufbereitungseinheit zu orten. Die CFM trat an das Fraunhofer IPK heran, um gemeinsam neueste Technologien der KI-basierten Bildverarbeitung einzusetzen und sicherzustellen, dass die Siebe auch vollständig gepackt unterwegs sind.


Automatisierte Helfer

Forschende des Fraunhofer IPK entwickeln dafür ein Assistenzsystem, das mithilfe von Algorithmen OP-Instrumente automatisiert wiedererkennt. Es besteht aus einem mit bis zu drei Kameras bestückten Erfassungssystem, einem KI-Hauptsystem sowie einer Packstation als Client-Einheit. Das KI-Hauptsystem ist die Verarbeitungseinheit und das Herzstück der Technologie. Sie ermöglicht es, Bilddaten von OP-Instrumenten zu erheben, zu speichern und anhand dieser Bilddaten neuronale Netze zu trainieren. Dazu werden in einem ganzheitlichen Ansatz der Bildverarbeitung und Entscheidungsfindung Convolutional Neural Networks (CNN) verwendet. Gegenüber klassischen Methoden der Bildverarbeitung haben sie den Vorteil, dass die KI aufwendige Parametereinstellungen selbsttätig vornimmt und in einem automatischen Trainingsprozess alle Gewichte und Parameter fortwährend genauer an die vorliegenden Daten anpasst. Das Gesamtsystem wird gemäß dem 4-Augen-Prinzip als unterstützende Prüfinstanz für Mitarbeitende im Packprozess implementiert und soll helfen, die Arbeitsschritte an den Packsieben zu dokumentieren und deren Qualität sicherzustellen. Im Ergebnis sollen so Reklamationen von Fehlbestückungen in den Sieben reduziert werden.

Kontrolle von Anfang an

In einer Machbarkeitsstudie haben die Fraunhofer-Expertinnen und -Experten bereits erfolgreich nachgewiesen, dass ihre Technologien zur automatisierten Wiedererkennung von OP-Besteck geeignet sind. Die Stichprobe umfasste 156 verschiedene OP-Instrumente, die anhand eines Datensatzes von insgesamt 9 672 Bildern mit einer Top-1-Genauigkeit von 99,9 Prozent und einer Top-5-Genauigkeit von 100 Prozent automatisiert wiedererkannt wurden. Der jetzt in der Entwicklung befindliche Prototyp soll ab Herbst 2021 als Assistenzsystem in der Aufbereitungseinheit für Medizinprodukte des Charité Campus Benjamin Franklin zur Verfügung stehen.

Das KI-Hauptsystem (links) dient zur initialen Erstellung der Trainingsdaten und zum Anlernen neuronaler Netze. Der Client-Packplatz (rechts) sendet während des Packvorgangs Wiedererkennungsanfragen an das KI-Hauptsystem.