Stellungnahme des Fraunhofer IPK zum Projekt zur Rekonstruktion der Stasi-Akten

In seinem am 18. April 2023 veröffentlichten Ergänzungsband zu den Bemerkungen zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes 2022 übt der Bundesrechnungshof im Beitrag zur Bundesbeauftragten für Kultur und Medien Kritik am Projekt zur Rekonstruktion der Stasi-Akten des Fraunhofer-Instituts für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK. Diese Kritik weist das Fraunhofer IPK zurück. Einige der im Beitrag widergegebenen Behauptungen entsprechen nicht den Tatsachen.

„Wir möchten vor allem dem Eindruck widersprechen, dass die von uns im Rahmen des Forschungsprojekts »virtuelle Rekonstruktion (vReko) von zerrissenen Stasi-Unterlagen« im Auftrag der BStU entwickelte ePuzzler-Technologie nicht funktioniere“, sagt Institutsleiter Prof. Dr. Dr. Eckart Uhlmann. „Das Projekt wurde aus unserer Sicht bereits 2014 erfolgreich abgeschlossen.“

Ziel des Projekts war die Entwicklung eines prototypischen Systems zur automatisierten, virtuellen Rekonstruktion der zerrissenen Akten. Die Entwicklung des Systems wurde im Rahmen des Forschungsprojekts abgeschlossen, seine Funktionsfähigkeit und Praxistauglichkeit wurde erfolgreich nachgewiesen, was von unabhängigen Gutachtern bestätigt wurde. 

Zum Hintergrund:

Die von dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR 1989 vorvernichteten, d. h. per Hand zerrissenen, Unterlagen der Stasi wurden nach dem Fall der Mauer in ca. 16 000 Säcken gesichert. Diese etwa 600 Mio. Schnipsel versuchte die BStU im Sinne historisch-gesellschaftlicher Aufarbeitung manuell wiederherzustellen. Das Fraunhofer IPK hatte die Idee, ein System zu entwickeln, das zerrissene Stasi-Dokumente und -Akten automatisiert virtuell rekonstruiert. Diese Initiative führte zum sogenannten »Stasi-Schnipsel-Projekt«.

In diesem Kontext schloss die Fraunhofer-Gesellschaft im Jahr 2007 für ihr Fraunhofer IPK mit der Bundesrepublik Deutschland einen Vertrag zum Forschungsprojekt »virtuelle Rekonstruktion (vReko) von zerrissenen Stasi-Unterlagen«. Ziel dieser Pilotphase war die Entwicklung und der Test eines prototypischen Systems zur rechnerunterstützten Rekonstruktion, bei dem die zeitaufwändige und teils unmögliche manuelle Zusammensetzung durch das automatisierte System des Fraunhofer IPK ergänzt (nicht ersetzt) werden sollte. Da vom Fraunhofer IPK nicht zu vertretende Abweichungen vom ursprünglichen Ablauf bereits in 2010 erkennbar waren und sich zudem zusätzliche Anforderungen des Auftraggebers an eine praxistaugliche Hard- und Softwarelösung für die Rekonstruktion durch die Mitarbeiter des Auftraggebers ergeben hatten, wurde im Jahr 2010 ein Erweiterungsauftrag erteilt. 

Die Pilot- bzw. Entwicklungsphase wurde 2014 erfolgreich abgeschlossen, die Projektlaufzeit betrug somit 7 Jahre: Mit dem von der BStU abgenommenen Pilotsystem wurden mehr als 700.000 Schnipsel unterschiedlichsten Zerstörungsgrades erfolgreich zu 91.000 Seiten zusammengesetzt. Die Praxistauglichkeit des sogenannten ePuzzlers wurde damit im produktiven Einsatz vollumfänglich nachgewiesen. Selbst DIN-A4-Seiten, die in über 100 Teile zerrissen waren, wurden erfolgreich rekonstruiert. Zum Vergleich: Bei der manuellen Rekonstruktion werden in der Regel DIN-A4-Seiten mit max. 6 bis 8 Fragmenten rekonstruiert, der Rest bleibt unbearbeitet.

Die Ausschreibung und Etablierung des Stasi-Schnipsel-Projekts durch die BStU basierte auf der Annahme, dass der Markt eine entsprechende Scannertechnik bereitstellen kann. Die ersten Jahre der Pilotphase zeigten, dass marktgängige Scanner weder die erforderliche Geometrie- und Farbtreue noch die Voraussetzungen für einen Massenbetrieb ermöglichten. Daher musste das Fraunhofer IPK einen Industriescanner hinsichtlich Mechanik, Optoelektronik und Software modifizieren, um die Durchführung der Testreihen möglich zu machen. Das gelang erfolgreich, sodass die o. g. über 700.000 Schnipsel gescannt werden konnten. Der Scanner ist damit seiner Aufgabe als Experimentiersystem in einer Pilotphase vollständig gerecht geworden. Aus diesem Pilotbetrieb wurden, wie es vertraglich vereinbart war, Erkenntnisse gewonnen, wie eine Scannertechnik für einen späteren Massenbetrieb ausgelegt werden muss.

Auf Grundlage dieser Erkenntnisse und auf Bitten des Deutschen Bundestages konzipierte das Fraunhofer IPK ab 2013 drei Varianten einer Scanstraße. Zwei von der BStU beauftragte externe unabhängige Gutachter bescheinigten, dass die durch das Fraunhofer IPK vorgeschlagenen Weiterentwicklungen zielführend sind und weiter vorangetrieben werden sollen. Der Bundestag entschied sich für die „mittlere Variante“ mit einem Projektvolumen von 6 Mio. € und genehmigte 2 Mio. €. Da der Bundestag keine Verpflichtungserklärung für die weiteren 4 Mio. € abgab, konnte das Projekt zur Realisierung einer Scanstraße nicht wie geplant 2015 begonnen werden. Diese politische Entscheidung führte zum Stillstand des Projekts.

Im Rahmen einer Prüfung 2015 hatte der Bundesrechnungshof die BStU zudem aufgefordert, durch externe Gutachten den Lösungsansatz des ePuzzlers und die geplanten Szenarien der Projektweiterführung bewerten zu lassen. Beide Gutachten fielen positiv aus und bescheinigten darüber hinaus, dass es keine Alternativen zu den geplanten Projektszenarien gäbe.

Das Projekt zur »virtuellen Rekonstruktion (vReko) von zerrissenen Stasi-Unterlagen« ist daher abgeschlossen. Die vom Fraunhofer IPK im Jahr 2019 gestellte Schlussrechnung über 7.429.906,54 € wurde bis heute jedoch nicht vollständig bezahlt. Die Begleichung der offenen Forderung von 1.383.177,57 € wurde durch das Fraunhofer IPK beim Auftraggeber im Januar 2022 schriftlich angemahnt. 

„Wir möchten nochmals betonen, dass das Forschungsprojekt »virtuelle Rekonstruktion (vReko) von zerrissenen Stasi-Unterlagen« auf die Idee und Initiative des Fraunhofer IPK zurückgeht. Unser Institut wurde auch im Projektverlauf immer wieder proaktiv tätig, um technische Hürden zu überwinden und das Projekt nach Abschluss der Pilotphase gemeinsam mit der BStU und später dem Bundesarchiv fortzuführen“, sagt Dr. Bertram Nickolay, ehemaliger Abteilungs- und Projektleiter am Fraunhofer IPK.

Die ePuzzler-Technologie des Fraunhofer IPK wurde 2013 mit dem europäischen Innovationspreis EARTO ausgezeichnet und wird mittlerweile in vielen weiteren FuE-Projekten, u. a. bei der Deutschen Bundesbank und im Stadtarchiv Köln, erfolgreich eingesetzt. Nähere Informationen dazu finden Sie hier.