Produktion im Auftrag der Gesundheit

Bei der Fertigung von medizintechnischen, biotechnologischen und pharmazeutischen Produkten ist hohe Ingenieurskunst gefragt.

Die Forschenden am PTZ entwickeln spezielle Fertigungstechnologien für die Herstellung von mikrofluidischen Chips.

Von dem Moment an, in dem ein Patient sich in ärztliche Behandlung begibt, bis zu dem Moment, in dem er für geheilt erklärt werden kann, passieren viele Dinge: Von der Diagnostik über die Therapie bis zum Abschluss der Reha – für jeden dieser Schritte werden biomedizinische oder medizintechnische Produkte und Geräte benötigt. Ärztinnen, Pharmazeuten und Pflegepersonal müssen sich dabei auf die höchste Qualität der verwendeten Materialien und deren Verarbeitung verlassen können. Denn schon kleine Fehler in der medizinischen Fertigung können lebensbedrohliche Auswirkungen haben.

Gerade wegen dieser hohen Ansprüche ist die Medizintechnik eine der innovativsten Branchen überhaupt. Ob schonendere Operationsverfahren, verlässlichere Implantate oder wirksame Impfstoffe – neue Technologien und Produkte verbessern unsere Lebensqualität und helfen, Leben zu retten und zu erhalten. Das aktuelle Patent- Ranking des Europäischen Patentamtes unterstreicht die Innovationsstärke der MedTech-Branche: Sie liegt auf Rang 1 der Patentanmeldungen, vor den digitalen Kommunikations- und Computertechnologien. Bemerkenswert ist auch die Dynamik, mit der die Innovationen erfolgen: Laut BVMed, dem Bundesverband Medizintechnologie, machen deutsche Medizintechnikhersteller rund ein Drittel ihres Umsatzes mit Produkten, die weniger als drei Jahre alt sind. Dabei arbeiten die Hersteller von Anfang an sehr eng und transparent mit den Anwendern zusammen. Mehr noch: Ärztinnen und Pflegepersonal geben in 52 Prozent der Fälle den Anstoß für die Entwicklung neuer Produkte.

Neue Technologien schnell in die Anwendung zu überführen, ohne dabei Abstriche an der Sicherheit und Effektivität zu machen, ist deshalb eine ständige Herausforderung für die Branche. Medizinprodukte müssen umfangreiche technische Tests bestehen, bevor sie in klinischen Studien erprobt und für Patienten zugelassen werden. Dabei wird geprüft, ob sie in ihren Produkteigenschaften – zum Beispiel Dichte, Festigkeit, Kompatibilität, Sterilität – die Leistungsanforderungen erfüllen, die ihren medizinischen Einsatz erst möglich machen.

Ohne ingenieurwissenschaftliche Forschung also kein medizintechnischer Fortschritt. Das gilt besonders für die drei großen Branchentrends: Miniaturisierung, Mikrofluidik und Digitalisierung.

Miniaturisierung: Höchste Präzision für kleinste Produkte

Medizinische Disziplinen wie Kardiologie, Chirurgie, Radiologie und Diagnostik greifen heute auf komplexe miniaturisierte Produkte zurück. Am Produktionstechnischen Zentrum Berlin erforschen interdisziplinäre Teams aus Maschinenbauingenieuren, Biotechnologinnen und Elektrotechnikern, wie sich diese sicher und effizient herstellen lassen. Dabei nutzen sie Ultra- und Hochpräzisionsverfahren sowie Nano- und Biotechnologien und sind beispielsweise in der Lage, Strukturen für Fluid-Mischsysteme oder Zellseparationen replikativ zu fertigen.

Auch die Lebensqualität von Menschen mit Gelenkprothesen steigern die Forschenden: Sie optimieren Werkstoffe so, dass sie einen verbesserten Spannungszustand erhalten und ermöglichen damit eine längere Lebensdauer für Prothesen. Neben klassischen Materialien wie Metallen und Kunststoffen, machen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch schwer zu verarbeitende Werkstoffe wie metallische Gläser und Refraktärmetalle für medizinische Anwendungen fit. So stellen sie zum Beispiel optimale Oberflächenrauheiten her, um Keimanlagerungen oder Abstoßungsreaktionen zu vermeiden.

Mikrofluidik: Neue Skalierungspotenziale für Pharmehersteller

In der medizinischen Praxis sind fluidführende Systeme unter anderem als Lab-on-a-Chip-Systeme für die Point-of-Care-Diagnostik weit verbreitet. Die Forschenden am PTZ entwickeln für die Herstellung solcher mikrofluidischer Chips spezielle Fertigungstechnologien. Im Rahmen ihrer eigenen Forschung benötigen sie die Chips, um die Verkapselung von mRNA-Molekülen in Lipid-Nanopartikeln zu optimieren – ein wichtiger Schritt für die Skalierung der Produktion von Corona-Impfstoffen.

Ein weiterer Aspekt in der Vakzinproduktion: Noch werden Impfstoffe auf Basis von Zell- und Gentherapie in manuellen batch-basierten Produktionsprozessen aufwendig hergestellt. Doch schon bald könnten vollständig automatisierte und integrierte End-to-End-Prozesse nicht nur die Impfstoffherstellung, sondern die Pharmaproduktion insgesamt revolutionieren. Im Rahmen der Fraunhofer-Initiative »Pharmaproduktion 4.0« entstehen deshalb innovative Konzepte für die Automatisierung, Digitalisierung und Modularisierung der pharmazeutischen Herstellung und Qualitätssicherung von Medikamenten. Zu den Anwendungsszenarien zählen neben Impfstoffen auch Zelltherapeutika und Stammzellen für Onkologie und regenerative Medizin sowie zur Behandlung von Immun- und Infektionserkrankungen. Das wissenschaftliche Team des Fraunhofer IPK mit seinem Know-how in Produktionsund Werkstofftechnologien sowie Aktorik und Sensorik arbeitet hier vor allem daran, Herstellungsprozesse zu parallelisieren und Hochdurchsatzprozesse zu ermöglichen. So können künftig Entwicklungs- und Produktionszyklen drastisch verkürzt werden.

© BVMed
Solche miniaturisierten Sensoren werden heute zur Blutdruckmessung eingesetzt.

Digitalisierung: Bessere Diagnosen und Therapien

Auch in der Medizin geht heute nichts mehr ohne Digitalisierung. Ob Blutzuckermessung mittels Biosensoren, Kamerachips für Retinaimplantate oder KIunterstützte bildgebende Verfahren für die Chirurgie – digitale Technologien sind aus der Gesundheitsversorgung nicht mehr wegzudenken. Sie helfen, Erkrankungen früher zu erkennen, Behandlungen effizienter – das heißt, individueller auf die Patientin oder den Patienten abgestimmt – durchzuführen und auch die Nachsorge, einschließlich Rehabilitation und Pflege optimal zu gestalten. 

Die Potenziale digitaler Lösungen in der Medizin sind allerdings noch lange nicht ausgeschöpft. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert seit 2016, eingebettet in die Hightech-Strategie 2025 und die Digitale Agenda der Bundesregierung, Neuentwicklungen in der Medizintechnik, vor allem in den Bereichen Medizininformatik, Big Data sowie digitale Diagnose- und Therapieverfahren. eHealth, Telemedizin und Telemonitoring spielen dabei sowohl für die Gesundheitsversorgung, als auch für medizintechnische Unternehmen eine zentrale Rolle. Während zukünftig Chirurgen mit Augmented Reality (AR) minimalinvasiv operieren oder Patienten mit spastischen Bewegungsstörungen mithilfe von Virtual Reality (VR) trainieren könnten, kann kontext-sensitive Assistenz Hersteller in ihren hochspezialisierten Produktionsabläufen unterstützen. AR- und VR-Lösungen könnten hier die in der medizintechnischen Produktion erforderliche Null-Fehlerstrategie absichern und Fachkräfte je nach Ausbildungsstand gezielt durch einzelne Prozessschritte leiten.

Voraussetzung dafür ist eine effektive Prozessüberwachung. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am PTZ Berlin übertragen deshalb Condition-Monitoring-Strategien, die im Maschinen- und Anlagenbau bereits längst etabliert sind, in die Medizintechnik. Und diese Transferleistung ist keine Einbahnstraße – vice versa überführen sie auch ursprünglich für medizinische Anwendungen entwickelte Technologien in die Fertigungshallen von Spritzgussherstellern oder Automobilzulieferern. Ein Beispiel sind bildgebende Verfahren wie die Computertomographie. Bei Hochdurchsatzprozessen zur Herstellung von Bauteilen für Elektrofahrzeuge liefert heute ein Inline-CT eine lückenlose Dokumentation aller Bearbeitungsschritte und sorgt so für eine sichere und stabile Prozess- und Bauteilkontrolle.