Medizinprodukte in manufakturbasierter Kleinserienfertigung

Herausforderung oder Dilemma

Ein Gastbeitrag von Dr. Philip Elsner, Berlin Heart GmbH

Angesichts stetig steigender Anforderungen an Medizinprodukte, insbesondere bedingt durch die Umsetzung der Europäischen Medizinprodukte-Verordnung (MDR), wird die Situation für die Hersteller und Inverkehrbringer von Medizinprodukten am Standort Deutschland bzw. Europa zunehmend komplexer und kostenintensiver.

Medizinprodukte sind mittlerweile zu einem wesentlichen Bestandteil unseres Alltags geworden und zu einer solchen Selbstverständlichkeit avanciert, dass eine angemessene Gesundheitsversorgung ohne diese kaum noch vorstellbar ist. Vom einfachen Pflaster bis zu künstlichem Gewebeersatz, vom COVID-19-Schnelltest bis zum hochentwickelten Diagnostikverfahren und von der Zahnfüllung bis zu künstlichen Organen gibt es kaum einen Bereich des menschlichen Organismus, für den es nicht irgendein Medizinprodukt gibt.

Hinter den vermeintlich einfachen Produkten stecken meist komplexe Funktionen, verbirgt sich ein vielschichtiges Zusammenwirken zwischen dem technischen System an sich und dem biologischen System des Menschen. Darin begründen sich unter anderem die teilweise sehr aufwendigen Entwicklungsprozesse, wie auch die zunehmend komplexeren Zulassungsprozesse. Diese Prozesse können, vergleichbar der Zulassung eines Pharmakons, mitunter Jahre, wenn nicht gar ein Jahrzehnt in Anspruch nehmen. Daher stellt sich die Frage, ob nach Erlangung einer langwierigen Zulassung weitere Innovationen überhaupt möglich sind oder sich finanziell überhaupt tragen.

Die zweite Seite bei der Betrachtung eines Medizinproduktes ist der Mensch als Individuum. Dieser zeichnet sich in besonderem Maße durch seine vielseitigen Fähigkeiten und Fertigkeiten aus – jeder auf seine individuelle Art und Weise. Hier stellt sich die Frage: Können denn überhaupt standardisierte Therapien zur Anwendung kommen, wo doch eigentlich angepasste, individuelle Medizinprodukte und Therapien eine höhere Aussicht auf Erfolg hätten? Sicher lassen sich viele etablierte Vorgehensweisen bei entsprechenden Symptomen anwenden, jedoch wäre es fatal, den menschlichen Organismus als einen gesetzten Standard zu betrachten. Im Zeitalter moderner, agiler und global vernetzter Produktions- und Informationssysteme und der zunehmenden Integration von 3D-Druckverfahren in die Produktionsprozesse sollte es möglich sein, individuelle Lösungen für jeden einzelnen Patienten und jede einzelne Patientin zu realisieren.

Die technische Herausforderung einerseits, der medizinische Wirksamkeitsnachweis andererseits stellen derzeit eher die kleineren Hürden dar. Vielmehr besteht die Herausforderung darin, die Patientenindividualität und deren Anforderungen im Kontext eines zunehmend regulierten und teilweise überregulierten Zulassungsumfeldes zu realisieren. Die novellierte europäische Medizinprodukte-Verordnung (MDR) sieht derzeit wenig bis gar keinen Raum vor, individuelle Patientenlösungen als Normalfall zu betrachten oder gar umzusetzen.

Genau hier liegt die Herausforderung für die kommenden Jahre. Es muss gelingen, fernab von Baukastensystemen mit standardisierten Komponenten individuelle Lösungen für Patienten zu schaffen. Als Basis hierfür sind nicht nur valide Fertigungsprozesse oder alternativ eine reine manufakturbasierte Kleinserienfertigung zu betrachten, die wiederum ein maximales Maß an Freiheitsgraden besitzen, sondern auch sämtliche peripheren Prozessketten zur Informationsverarbeitung, zur Zulassung, zur klinischen Nachweisführung und letztlich auch zur Datensicherheit. In diesem interdisziplinären Ansatz liegt die Chance nicht nur für die Großserienfertigung von Massenprodukten, sondern gerade auch für eine bestmögliche und maßgeschneiderte individuelle Patientenversorgung.

Dr.-Ing. Philip Elsner

© Berlin Heart

studierte Maschinenbau an der Technischen Universität Berlin und promovierte 2009 am Fraunhofer IPK zum Thema 3D-Drucken von gradierten Werkstoffeigenschaften.
Sein beruflicher Werdegang ist bis heute davon geprägt, über die Grenzen des Konventionellen hinaus zu schauen und stets nach neuen Möglichkeiten zu suchen, um die Produktion am Standort Deutschland innovativ und attraktiv zu gestalten.

Seit 2007 ist Dr. Elsner bei der Berlin Heart GmbH tätig und zunächst für die Abteilung Process Engineering zuständig. Das Unternehmen entwickelt, produziert und vertreibt innovative Systeme für die mechanische Herzunterstützung. Seit 2017 verantwortet er als Bereichsleiter außerdem die gesamte Produktion der Sterilprodukte und Antriebseinheiten. »Die besonderen Herausforderungen in unserem Produktionsalltag bestehen darin, die stetig steigenden Anforderungen an Medizinprodukte in einer manufakturbasierten Kleinserienfertigung zu erfüllen,« so Elsner. »Getreu unserem Motto: Innovative Medizinprodukte von Menschen für Menschen.«