Schnittstellen

Von der tragbaren Robotik bis zur Virtuellen Realität – Menschen und Maschinen kollaborieren auf immer mehr Arten miteinander. Dabei verschmelzen reale und digitale Welt.

© Fraunhofer IPK
Mensch-Roboter-Kollaboration in Aktion: Neben einem Sauggreifer und einem Kraftsensor ist der Roboter auch mit einer Sicherheitshaut ausgestattet, die die direkte Zusammenarbeit im Kontakt mit Menschen ermöglicht. So können 35 kg schwere Pakete mit Solarpanelen mühelos durch den Raum bewegt werden – mit robotischen Kollegen.
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  1. Ein Roboter darf kein menschliches Wesen (wissentlich) verletzen oder durch Untätigkeit (wissentlich) zulassen, dass einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird.
  2. Ein Roboter muss den ihm von einem Menschen gegebenen Befehlen gehorchen – es sei denn, ein solcher Befehl würde mit Regel eins kollidieren.
  3. Ein Roboter muss seine Existenz beschützen, solange dieser Schutz nicht mit Regel eins oder zwei kollidiert.

Die drei Gesetze der Robotik nach Isaac Asimov mögen zwar einer fiktiven Geschichte entstammen – in Zeiten, in denen Menschen und Maschinen enger als je zuvor miteinander kooperieren, wirken sie jedoch aktueller denn je. Industrieunternehmen müssen die Sicherheit ihrer Mitarbeitenden und gleichzeitig den bestmöglichen Betrieb ihrer Anlagen garantieren. Für beides ist eine möglichst reibungslose Verständigung über die Systemgrenzen hinweg – also zwischen Menschen und Maschinen – essentiell.

Während Asimov die Interaktion mit Robotern als physische Gebilde ins Zentrum seiner Science-Fiction-Erzählungen stellte, sind heute noch wesentlich mehr Aspekte dieser Verständigung hinzugekommen. Denn sie spielt sich nicht mehr nur im materiellen Raum ab, sondern auch im virtuellen Raum, auch Cyberspace genannt, in dem digitale Daten die Grundlage der Kommunikation bilden.

Natürlich stehen diese beiden Systeme nicht strikt abgegrenzt nebeneinander. Die reale und die digitale Welt sind kein dualer Gegensatz, sondern sind vielfach durch Schnittstellen miteinander verbunden: durch das Dashboard einer Werkzeugmaschine, über das eine Fachkraft einen Bearbeitungsprozess anstößt. Durch den Sensor, der realweltliche Einflüsse als elektronisches Signal weitergibt, das dann zum Datenpunkt eines Digitalen Zwillings wird und so Aufschluss über den Zustand einer Anlage gibt. Oder durch die VR-Brille, die digitale Modelle visualisiert und so die virtuelle Welt für menschliche Sinne wahrnehmbar macht.

Das alles sind Beispiele für Grenzüberschreitungen, in denen Menschen direkt mit Maschinen in Austausch treten. Den Raum, in dem dieser Austausch durch das Zusammenwirken von virtueller, erweiterter und physischer Realität möglich wird, nennt man heute auch Metaversum.

Unflexibel und rücksichtslos – das alte Bild des Industrieroboters

Industrielle Roboter waren lange Zeit vor allem als stählerne Bewegungsautomaten in der Automobilindustrie bekannt. Doch Fortschritte in der Sensorik und Algorithmik ermöglichen heute zunehmend neue und flexiblere Anwendungen. So erschließen sich für die Robotik neue Prozesse und sogar ganze Domänen.

Entgegen vieler Vorurteile steht dabei häufig aber nicht der Ersatz, sondern die Kollaboration mit dem Menschen im Vordergrund. Herkömmliche Industrieroboter zeichnen sich durch ihren unermüdlichen Fleiß und eine gleichmäßige Qualität der Arbeit aus. Gleichzeitig sind sie im Grunde genommen starre Systeme, die kontinuierlich eine vordefinierte Liste von Anweisungen abarbeiten.

Entsprechend ist eine gut strukturierte Umgebung notwendig, damit Roboter ihre Fähigkeiten entfalten können. Der Mensch bringt dabei nicht nur Unruhe in ein sorgfältig austariertes System, er muss häufig auch zu seiner eigenen Sicherheit außen vor bleiben. Schließlich sind Roboter grundsätzlich erst einmal blind und haben weder die Möglichkeit, die Präsenz des Menschen zu bemerken, noch die kognitiven Kapazitäten, um sicher um diesen herum zu manövrieren.

Stärker gemeinsam

Neue Sensorsysteme und intelligente Ansätze der Datenverarbeitung bieten die Grundlage dafür, diese sensorischen und kognitiven Defizite von Robotern zu adressieren. Neue Entwicklungen in der Kraftregelung sowie Steuerungs- und Sicherheitstechnik ermöglichen es zudem, dass sie ihre Schutzzäune verlassen können, ohne eine Gefahr für den Menschen darzustellen.

Das Zusammenspiel von intelligenten Robotern und moderner Sicherheitstechnik ermöglicht ganz neue Arten der Arbeitsteilung, welche parallele Tätigkeiten von Menschen und Robotern in engerer räumlicher und zeitlicher Nähe erlauben. So können vormals manuelle Tätigkeiten teilautomatisiert werden, ohne dass wertvoller Platz durch eine zusätzliche Sicherheitszelle beansprucht wird.

Der größte Vorteil derartiger Ansätze liegt darin, dass Mensch und Roboter so ihre unterschiedlichen Stärken einbringen können. Während der Roboter auch weiterhin maßgeblich Stärke und Ausdauer beisteuert, kann der Mensch mit seiner Problemlösungskompetenz und  feinmotorischen Fertigkeit die Schwächen der herkömmlichen Automatisierungssysteme ausgleichen.

Auch die Ergonomie von Arbeitsplätzen kann oft durch die Umrüstung auf eine Mensch- Roboter-Kollaboration deutlich verbessert werden. Zu einer vergleichbaren Einschätzung kam 2018 auch das Fraunhofer IAO in der Studie »Homo Digitalis«. Hier gaben 70 Prozent der Befragten an, körperlich anstrengende Tätigkeiten vorwiegend Robotern überlassen zu wollen. Umgekehrt trauten jedoch nur wenige Robotern die notwendige Entscheidungs- und Problemlösungskompetenz zu, um eigenständig zu agieren. Eine gemeinsame Interaktion von Menschen und Robotern konnte sich jedoch jeder Zweite gut vorstellen.

© Fraunhofer IPK / Larissa Klassen
PowerGrasp stärkt und stützt mittels Druckluft Bewegungen und entlastet so beispielsweise in der Montage.

Robotische Assistenzsysteme

Eine Möglichkeit dieses Potenzial zu heben, liegt in der direkten physischen Interaktion von Menschen und Robotern. Am Fraunhofer IPK entstehen neue Generationen robotischer Systeme, die in einer Mensch-Roboter-Kollaboration Lasten wie etwa 35 kg schwere Pakete mit Solarpanelen sicher transportieren können.

Die Kommunikation zwischen den Partnern erfolgt dabei durch den direkten Kontakt. Sensorik ermittelt die vom Menschen auf das Paket ausgewirkte Kraft, intelligente Algorithmen errechnen daraus die intendierte Bewegung. Durch eine tiefe Integration des Systems in die Steuerung des Roboters erfolgen die Prozesse innerhalb eines Regeltakts, so dass sich für den Menschen das Gefühl ergibt, das Paket hinge an einer Führung, entlang derer es mühelos bewegt werden kann.

Im Projekt SHERLOCK entwickeln die Forschenden zudem Verfahren, die mit ähnlichen Methoden eine einfache Interaktion mit Robotern erlauben, um Bauteile ergonomisch günstig auszurichten. Robotische Unterstützung kann aber auch viel dezenter sein: Mit einem Akkuschrauber über Kopf Bauteile zu verschrauben, lässt auf Dauer die Armmuskulatur ermüden.

Der aktive Exosuit PowerGrasp stärkt und stützt mittels Druckluft Bewegungen und entlastet so beispielsweise Werkerinnen und Werker in der Montage. Das System ist als textile Weste designt und schränkt die Bewegungsfreiheit nicht ein. Dank Methoden der Künstlichen Intelligenz erkennt PowerGrasp sowohl die Art der Bewegung als auch den Grad der Ermüdung und kann gezielt unterstützen.

 

Künstliche Intelligenz für mehr Flexibilität

Die Mensch-Roboter-Kollaboration bringt auch neue Herausforderungen mit sich. So müssen Roboter lernen, mit von Menschen initiierten und damit für ihn nicht vorhersehbaren Veränderungen in seiner Umgebung umzugehen. Sie müssen also in der Lage sein, Abweichungen des Sollzustandes zu erkennen und anschließend dynamisch auf diese zu reagieren.

Menschen und Roboter müssen außerdem die aktuelle (Bewegungs-)Absicht ihres Gegenübers einschätzen können. Dazu müssen die Maschinen intelligent werden: So ermöglichen etwa Algorithmen der Bildverarbeitung, eine ungenau positionierte Schraube zu identifizieren und den Prozess trotz Abweichung vom Planungszustand erfolgreich umzusetzen. Nicht nur Bilder und Videos können durch KI verarbeitet werden, sondern auch Bewegungen. So enthält beispielsweise die oben beschriebene PowerGrasp-Weste Beschleunigungs- und Gyrometer-Sensoren, die Bewegungen messen und klassifizieren.

Um die Künstliche Intelligenz des Exosuits zu trainieren, erfassen die Forschenden zunächst einen Datensatz von typischen Handgriffen und Tätigkeiten aus dem Bereich des Maschinenbaus in sechs-dimensionalen Bewegungsdaten. Neuronale Netze mit Zeitkomponenten können hierin nicht nur die Tätigkeit erkennen, sondern auch Ermüdungszustände bewerten.

 

In Zukunft lieber gemeinsam

KI spielt eine wichtige Rolle, damit technische Systeme sich nach dem Menschen richten können. In der industriellen Produktion gibt es zahlreiche und mitunter sehr komplexe Aufgaben, die automatisiert werden können. Nicht jedes Szenario und jede menschliche Bewegung können vorhergesehen und entsprechende Maßnahmen programmiert werden.

Stattdessen müssen Roboter lernen hinzuschauen, zu hören, zu fühlen und sich so in die Arbeitswelt der Menschen einzubringen. Je mehr Echtzeitinformationen über ihre Arbeitsumgebung dabei zur Verfügung stehen, desto besser. Um ein möglichst umfassendes Bild über ihre Umgebung zu bekommen, brauchen Roboter »Sinnesorgane« und ein »Gehirn«: geeignete Sensorik und ein fortschrittliches Daten- und Informationsmanagement.

Umgekehrt braucht auch der Mensch Unterstützung dabei, mit Maschinen zu kommunizieren. Digitale Assistenzsysteme überbrücken dabei die Grenze zwischen der physischen und der digitalen Welt und führen zu einem immer tiefergehenden Einzug des Metaversums in produktionsspezifische Vorgänge.

Diese Revolution des kollaborativen Arbeitens, die den Menschen und dessen Stärken, seine schier unbegrenzte Kreativität, aber auch gewisse feinmotorische Fähigkeiten in den Mittelpunkt stellen, helfen dabei, den Herausforderungen der heutigen Zeit zu begegnen. So sorgt beispielsweise der demographische Wandel für eine zunehmende Verstärkung des Fachkräftemangels, welcher insbesondere im technischen Bereich eklatant ist. Alternde Arbeitskräfte und ihre unschätzbare Expertise werden den Unternehmen bald fehlen. Virtuelle Assistenzsysteme haben das Potenzial, sowohl bei der qualifizierenden Einarbeitung neuer Mitarbeitender zu unterstützen, als auch menschliche Aufwände insgesamt zu reduzieren.

Von der kleinsten Einheit der einzelnen Mensch-Maschine-Interaktion bis hin zu den großen cyber-physischen Systemen – am Fraunhofer IPK werden diese Themen in vielen Forschungs- und Entwicklungsprojekten vorangetrieben. Dabei beleuchten unsere Forschenden wichtige Aspekte, die bisher im industriellen Alltag häufig noch zu kurz kommen. Denn klassische Automatisierungsexpertise geht bei ihnen Hand in Hand mit Softwareentwicklung, Datenmanagement, Fabrikplanung und anderen wichtigen Disziplinen.

So können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das in der Industrie bis jetzt noch weit verbreitete »Blockdenken« zwischen physischer und virtueller Welt überschreiten und damit beispielsweise im Bereich der Assistenzsysteme bestmögliche Lösungen entwickeln. So sorgt Forschung und Entwicklung dafür, dass Menschen in Robotern und anderen Maschinen auf lange Sicht nachhaltige und nützliche Helfer haben.