Gut gescannt ist halb saniert

Bestandsgebäude sind für ein Drittel aller deutschen CO2-Emissionen verantwortlich. Um sie auf Grundlage von 3D-Modellen effizient zu sanieren, wird das Scangineering-Verfahren weiterentwickelt.

Nie standen die Zeichen günstiger für energetische Sanierungen von Bestandsgebäuden: Seit Februar 2022 können wieder Mittel aus der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) beantragt werden. Dass die  neue Bundesregierung das so kurz nach Amtsantritt umgesetzt hat, hat seinen Grund: Die Sanierung von Bestandsgebäuden ist möglicherweise der Bereich, in dem das größte Einsparpotenzial für CO2 besteht, denn fast ein Drittel aller deutschen Treibhausgasemissionen gehen auf diesen Sektor zurück.

Leichter gesagt als getan

Neuartige virtuelle Technologien wie das sogenannte Building Information Modeling (BIM) unterstützen heute Architekten und Bauingenieurinnen von Anfang an. Dabei werden Gebäude in Form digitaler 3D-Modelle virtuell geplant und aufgebaut. Während und nach der Bauphase kann anhand von Realdaten der Bauzustand validiert und gegen die Planungsdaten geprüft werden. Die dena (Deutsche Energie-Agentur), ein Think Tank der Bundesrepublik Deutschland und der KfW Bankengruppe, hielt 2017 bereits fest, dass dank BIM in einem Pilotvorhaben »die Sanierungskosten um knapp die Hälfte gesenkt werden« konnten.

Allerdings steht die BIM-Modellierung heute vor einer großen Herausforderung: Der Bestand muss virtuell abgebildet werden können, um von den oben genannten Vorteilen zu profitieren. Der Gebäudebestand in Deutschland ist überwiegend älter als 40 Jahre und somit zu einer Zeit entworfen und gebaut worden, als dies noch vollständig auf Papier passierte. Digitale Daten zu solchen Gebäuden sind meist nicht verfügbar. 

Die Übertragung der analogen Daten in virtuelle Formate muss in der Regel manuell von Fachpersonal durchgeführt werden. Doch auch die Baubranche ist vom allgemeinen Fachkräftemangel betroffen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) kommt deshalb in den Handlungsempfehlungen zu seiner Studie »Klimapfade 2.0« zu dem Schluss: »Engpässe bei den Kapazitäten von handwerklichem Fachpersonal, Architektinnen und Architekten […] stehen der dringend benötigten Sanierungswelle entgegen.«

Dies steht in Kontrast zu den dringend nötigen Maßnahmen, um die Europäischen Energie- und Klimaziele im Bausektor noch erreichen zu können: »Die energetische Gebäudesanierung muss sich verdoppeln«, so der BDI. Eine derartige Quote bei gleichzeitigem Fachkräftemangel zu erreichen wird nur möglich sein, wenn das Fachpersonal bei der Modellierung des Gebäudebestandes durch automatisierte Softwaretechnologien unterstützt wird. Forschende des Fraunhofer IPK haben sich deshalb mit dem Start-up pointreef zusammengetan, um ihre Technologie zum automatisierten Verarbeiten und Rückführen von Punktwolken in CAD-Modelle in ein marktfähiges Produkt für den Bausektor weiterzuentwickeln.

Von Scangineering zu ARGOS

Das Kollaborationsprojekt »ARGOS – Automatisiertes Rückführen von Gebäudemodellen aus optischen Scandaten« wird über das Fraunhofer-interne Förderprogramm AHEAD gefördert und basiert auf einem Softwareprototyp mit dem Namen Scangineering.

Dieser wurde ursprünglich entwickelt, um gegebene CAD-Modelle aus einer Baugruppe (»as-designed«-Zustand) anhand der zugrundeliegenden 3D-Scandaten (»as-built«-Zustand) zu repositionieren. Der ursprüngliche Anwendungsfall waren die inneren Strukturelemente eines Flugzeugs, in dem Teile wie Möbel (Sitze, Böden) und andere an der Flugzeugstruktur befestigte Komponenten demontiert wurden. Die realen Komponenten waren also anders platziert (»as built«) als ursprünglich virtuell geplant (»as designed«). Diese veränderte Position musste in die digitalen Modelle zurückgespiegelt werden. Die Scandaten lagen als tessellierte Punktwolke vor. Sie wiesen eine vergleichsweise schlechte Qualität auf, d. h. die Punktdichte war grob und Details, die kleiner als 10 mm waren, wurden nicht abgebildet. Rauschartefakte verzerrten die wahre Darstellung der Geometrie. Um eine Neupositionierung zu erreichen, nutzten die Forschenden eine Softwarearchitektur, die die modernsten Werkzeuge der Reverse Engineering-Prozesskette beherrscht.

Der Programmcode der Scangineering-Software basiert auf Open-Source-Quellen. Die optionalen Schnittstellen zu externen Software-APIs ermöglichen die Integration des Scangineering-Frameworks in bestehende Softwareumgebungen. Je nach technischem Anwendungsfall kann die Software entweder Open-Source-basiert oder in einer proprietären Software in einer geeigneten Programmiersprache implementiert werden. Für die Nutzung im Gebäudesektor werden beispielsweise Anbindungen an die in der Architektur weit verbreiteten proprietären Softwareprodukte Revit und ArchiCAD benötigt, die das gewünschte Frontend für den Endanwender darstellen.

Wie das Scangineering von Gebäuden in der Anwendung aussieht, zeigt die Entwicklungs-GUI des Prototyps. Die simple, funktionale Benutzeroberfläche macht es möglich, alle benötigten Entwicklungsund Testfunktionalitäten interaktiv anzusteuern. Operationen zur Datenmanipulation werden über die Buttons im oberen Bereich aufgerufen, daraufhin öffnen sich weitere Fenster zur Prozesssteuerung und Parametereingabe. Der Strukturbaum zeigt alle vorhandenen Entitäten an. Im zentralen Visualisierer werden 3D-Daten grafisch angezeigt. Weitere Fenster zur Textausgabe dienen der Anzeige von Prozessinformationen und Metadaten. 

Anhand von Screenshots aus der Software lässt sich gut nachvollziehen, wie die 3D-Gebäudescans später aussehen und wie sie in ihre Einzelteile zerlegt und klassifiziert werden können. Von oben nach unten sind zu sehen: der vollständige Datensatz, die Klassifizierung von Fußböden (violett) und Decken (gelb) sowie Wänden (türkis).

Von der Theorie in die Praxis

Der einzigartige, hybride Ansatz im Projekt verbindet im Maschinenbau etablierte, auf Geometrieeigenschaften basierende und neuartige Algorithmen der künstlichen Intelligenz (KI). Ganz im Sinne des Fraunhofer-Gründergeistes wollen die Erfinder von Scangineering nun mit dem ARGOS-Projekt ein Spin-off ausgründen. »Der Ansatz verspricht enorme Effizienzgewinne für unsere zukünftigen Kunden. Ein großer Vorteil ist dabei, dass unser Partner bereits mit dem etablierten Start-up pointreef im Markt aktiv ist und wir daher auf einen existierenden Kundenstamm zurückgreifen können. Außerdem haben wir breiten Rückhalt am Fraunhofer IPK, das uns tatkräftig bei der geplanten Ausgründung unterstützt«, so Stephan Mönchinger, der das Projekt am Institut leitet.

Übrigens wird mythologisch Interessierten vielleicht bereits aufgefallen sein, dass die Forschenden bei der Namensgebung des Projekts eine Anspielung eingebaut haben: Argos ist in der griechischen Sagenwelt ein hundertäugiger Riese, der zu jeder Zeit in alle Richtungen gleichzeitig schauen konnte. Wenn das kein passender Name ist!