Minimale Strahlenbelastung, maximale Bilddetails

3D-Röntgenverfahren sind wertvolle, aber strahlungsintensive Diagnosehilfen. Neuartige Simulationsmethoden können die Strahlenbelastung mindern.

Seitdem Wilhelm Conrad Röntgen auf dem ersten mit X-Strahlen gewonnenen Bild die Hand seiner Frau verewigte, hat sich viel getan. Die Technologie ist mittlerweile aus der zweiten in die dritte Dimension getreten: Heute ist 3D-Röntgenbildgebung als unverzichtbares Hilfsmittel zur Beantwortung komplexer klinischer Fragestellungen etabliert. Das dreidimensionale Abbild der zu untersuchenden Körperregionen wird erstellt, indem sie mit einem Röntgensystem durchstrahlt werden. Bisher wird dabei die komplette Körperregion gleichmäßig der Strahlung ausgesetzt – dabei ist zur Beantwortung der klinischen Fragestellung meist nur ein kleiner Teil des aufgenommenen Bildvolumens relevant. Ist es technisch und wirtschaftlich möglich, die Führung der Bildgebungskomponenten so zu gestalten, dass die Strahlung nur dort ankommt, wo sie auch gebraucht wird?

© OsiriX by Pixmeo, Geneva, Switzerland
3D-Röntgenbild

Jedes Gewebe ist anders

Unterschiedliche Gewebearten im Körper reagieren auf Röntgenstrahlung unterschiedlich empfindlich. Besonders kritisch sind zum Beispiel Augenlinsen, Drüsengewebe wie Brust- und Schilddrüsen, Fruchtbarkeitsorgane und der Darm. Radiologinnen und Radiologen versuchen grundsätzlich, diese anatomischen Strukturen nicht zu durchleuchten, da strahleninduzierte Veränderungen im Erbgut hier besonders schwerwiegend wären. Entsprechend wird eine gewichtete Gleichverteilung der Dosis in den Geweben angestrebt, bei der die Gesamtdosis der Strahlung gleich bleibt, die empfindlicheren Gewebearten aber deutlich weniger davon abbekommen. Die heutzutage am Markt verfügbaren 3D-Röntgenbildgebungssysteme werden diesen komplexen medizinischen Anforderungen unzureichend gerecht. Die Bildgebungskomponenten eines 3D-Röntgensystems – Röntgenquelle und Röntgendetektor – werden überwiegend auf standardisierten kreisförmigen Bewegungsbahnen geführt. Wenn es gelänge, die Bewegungsläufe dieser Komponenten besser auf den Einzelfall anzupassen, könnte man die Strahlenbelastung auf empfindliche Strukturen wie Fruchtbarkeitsorgane reduzieren, dabei aber die Bildqualität weitestgehend erhalten. Der Medizintechniker Felix Fehlhaber untersucht deshalb im Rahmen seiner Dissertation am Fraunhofer IPK, wie man solche spezialisierten Bewegungsbahnen in der Praxis umsetzen kann.

Die Drei Prinzipien der Kreislaufwirtschaft
Modell eines Beckens mit Röntgen-sensiblen Reproduktionsorganen

Simulieren geht über Studieren

Zu diesem Zweck hat er eine Simulationssoftware entwickelt, die medizinische Röntgenprozesse physikalisch exakt simuliert. »Das Verfahren beruht auf dem Monte-Carlo-Prinzip: Mit einer Vielzahl an kleinen Experimenten wird das tatsächliche Ergebnis angenähert«, so Fehlhaber. Das in diesem Fall simulierte Experiment: Ein Photon, ein im Röntgenspektrum agierendes Lichtteilchen, wird virtuell auf seinem Weg durch realistisch modelliertes Gewebe verfolgt. Dabei werden alle medizinisch relevanten physikalischen Interaktionseffekte berücksichtigt. Fehlhaber erläutert: »So entsteht ein sehr genauer Überblick darüber, wo Photonen im Körper am meisten Energie abgeben – also potenziell Strahlenschäden anrichten – und wie Photonen sich im Körper ausbreiten.« Mit speziellen Qualitätsbewertungsverfahren kann er darüber hinaus objektiv beurteilen, wie stark die simulierte veränderte Anordnung der Bildgebungskomponenten die tatsächliche Bildqualität beeinflussen würde.

Auf Grundlage der Erkenntnisse aus den Simulationsexperimenten erweiterte Fehlhaber die Software um einen Optimierungsalgorithmus. Der Algorithmus findet die optimalen Bewegungsbahnen für konkrete klinische Fragestellungen. So wird automatisch ermittelt, welcher Bahn die Bildgebungskomponenten folgen müssen, um für die untersuchten anatomischen Strukturen eine optimale Balance zwischen kleinstmöglicher Strahlenbelastung und adäquater Bildqualität zu erzielen. Fehlhaber konnte beweisen, dass mit diesem Verfahren Strahlenbelastung reduziert werden kann. Vor allem besonders empfindliche Strukturen wie beispielsweise Uterus und Eierstöcke werden wesentlich weniger belastet. »Gleichzeitig zeigt sich, dass die exakte Simulation aller Röntgendurchleuchtungen, die man zur Optimierung der Bewegungsbahn benötigt, sehr viel Rechenleistung braucht. Gerade bei komplexen Geweben dauert das momentan mehrere Tage«, so Fehlhaber. Die Ergebnisse seiner Experimente wird er im Rahmen seiner Promotion im Herbst 2021 veröffentlichen.

Zurück in die Zukunft

Betrachtet man den aktuellen Stand der Technik und die Hardwareentwicklung der letzten Dekade, ist davon auszugehen, dass sich solche Optimierungen erst in einigen Jahren in der Radiologie durchsetzen werden. Das ursprüngliche Ziel der Reduktion der effektiven Strahlendosis wird erst dann massentauglich. Bis dahin werden Forschende am Fraunhofer IPK die Algorithmik weiterentwickeln und beschleunigen. Fehlhaber sieht viel Potenzial für künftige Forschungsfragen: »Die medizinischen Modelle, die für eine realistische Simulation unabdingbar sind, werden stetig verfeinert. Und darüber hinaus erproben wir mithilfe der implementierten Simulationssoftware Verfahren, die auch die Bildqualität der 3D Röntgenbildgebung verbessern.«

Simulierte Bewegungsbahn von Röntgenquelle (rot) und -detektor (blau) mit wesentlich reduzierter effektiver Dosis beim Scan des Beckens