Mit Modellen zur modularen Montage

Ganzheitlich und gemeinsam Produktionsinnovationen entwickeln geht nicht? Doch: mit einem integrierenden Modell.

Der Markt für elektrische Werkzeuge ist besonders hart, Unterschiede von manchmal weniger als einem Euro pro Gerät entscheiden über die Konkurrenzfähigkeit eines Herstellers. Gleichzeitig werden die Produkte rasant individueller und die geforderten Stückzahlen dramatisch geringer. Wer seine Produktion darauf einstellen und schnell auf Kundenwünsche reagieren kann, gewinnt Aufträge. Bis vor fünf Jahren konnten Hersteller mit einer durchschnittlichen Losgröße von über 2000 Stück planen. Heute müssen aufgrund geringerer Auftragsgrößen die Anlagen oft nach weniger als 300 Geräten auf ein anderes Produkt umgerüstet werden. 

Das hat Folgen für fast alle Betriebsbereiche von Unternehmen in der Branche. Angefangen mit den Produktionstechnologien: Der Automatisierungsgrad muss auch bei geringen Stückzahlen drastisch erhöht und zugleich die Rüstzeit auf einen Bruchteil der früheren reduziert werden – und das alles auf wirtschaftliche Art. Für die Produktionsplanung bedeutet das deutlich zeit- und ressourcenintensivere Planungsaktivitäten, da kleinere variantenreiche Los­größen viel mehr Steuerungsaufwand mit sich bringen als eine hochskalierte Massenproduktion. Weil sich daraus eine hohe Änderungsdynamik ergibt, müssen Beschaffungs- und Vertriebslogistikprozesse sowie das komplette ganzheitliche Produktionsmanagement grundlegend umgestaltet werden. 

Neuorganisation der Prozesslandschaft 

Vor diesem Hintergrund hat ein weltweit agierender Hersteller Fachleute vom Fraunhofer IPK ins Boot geholt, um die entsprechende Anpassung seiner Prozesslandschaft zu unterstützen. Dabei wurde die Idee, die Montageprozesse auf zukunftsweisende Art zu modularisieren, zum Ausgangspunkt für eine komplette Neugestaltung der Produktionsabläufe. Prozessabhängigkeiten machen es erforderlich, dass einer neuen Produktionstechnologie schrittweise die Anpassung der Steuerungsprozesse, der Logistik, der Managementprozesse, des Zuliefermanagements oder der Fabrik-IT folgen muss. Sowohl dem Unternehmen als auch dem Fraunhofer IPK-Team war von Anfang an klar, dass dabei ein traditionelles sequenzielles Vorgehen aufgrund der Marktdynamik keine Option war. Daher wurde entschieden, dass gemeinsame Teams aus Mitarbeitenden des Unternehmens und des Fraunhofer IPK in fünf parallelen Projektstreams Innovationen auf allen Ebenen der neuartigen Fabrikstruktur gleichzeitig entwickeln sollten. 

Eins der Teams erarbeitete eine innovative Methode zur Modularisierung der Montage, bei der neue Produkte innerhalb kurzer Zeit mit wenig Anpassungsaufwand und geringen Rüstzeiten auf modularen Anlagen hergestellt werden können. Ein anderes Team sorgte dafür, dass die Fabrik-IT die schnellen Wechsel und Umplanungen unterstützt. Für die übergeordnete Steuerung der Abläufe auf dem Shopfloor wurde eine SOFT-SCADA entwickelt, die nicht umprogrammiert werden muss, sondern über ein Modell konfiguriert wird. Das System steuert die schnell zu einer Linie zusammengestellten Anlagen gemeinsam und zeichnet Daten über deren Betrieb auf. Dabei sorgt das zugrundeliegende Modell dafür, dass von Enterprise-Resource-Planning-(ERP)-Funktionen bis zur Maschinenansteuerung alle Systeme nahtlos integriert und doch flexibel agieren. Eine weitere Arbeitsgruppe krempelte das ganzheitliche Produktionssystem so um, dass die Mitarbeitenden zunächst das »Warum« besser verinnerlichten und dann die Rüstzeiten von über zwei Stunden auf unter zehn Minuten reduziert werden konnten. 

Blaupause für die Fabrik der Zukunft

Insgesamt schaffte es das Projekt, sehr unterschiedliche, doch eng miteinander verknüpfte Innovationsprozesse mit ihren Risiken zu synchronisieren, ohne dass sie sich gegenseitig behindern. Die Grundlage für diesen Erfolg ist ein Unternehmensmodell als gemeinsame Basis aller Innovations-, Gestaltungs- und Implementierungsprozesse. Dieses Modell berücksichtigt neben den internen und angrenzenden Wertschöpfungsprozessen auch deren Steuerung, die Managementprozesse sowie die Werksassets – wie Maschinensysteme, Anlagen und IT-Infrastruktur – und nicht zuletzt die Unternehmensorganisation mit ihren Rollen und Verantwortlichkeiten. Innerhalb eines Monats wurde ein Initialmodell erstellt, auf dessen Basis die einzelnen Teams parallel arbeiten und sich bei grundlegenden Änderungen einfach abstimmen konnten. Während der folgenden Entwicklungstätigkeiten entwickelte das Modell sich kontinuierlich dezentral weiter. Es half, Abhängigkeiten schnell zu identifizieren und die Auswirkungen von Technologielösungen auf andere Bereiche zu bewerten. Heute hilft eine integrierte ökonomische Komponente des Modells, eine neue Technologieoption ad hoc auf ihre Wirkung zu bewerten. Man denke zum Beispiel an die Frage, welchen Einfluss die Auslegung eines Montageroboters auf die Stückkosten der damit produzierten Geräte haben wird. Die integrierende Wirkung des Modells geht mittlerweile so weit, dass unterschiedliche Simulationsmodelle auf intuitive Art miteinander vernetzt sind – etwa Simulationen aus der Logistik mit einem kinematischen Robotermodell.

Fünf Jahre nach der initialen Idee arbeitet die modulare Anlage bereits in der Massenproduktion, erreicht eine Verfügbarkeit von über 99 Prozent und stellt trotz der hohen Individualisierung Produkte wirtschaftlich her. Die erforderliche Fabrik-IT ist von einem neuen ERP-System über ein erstmals realisiertes Manufacturing Execution System (MES) bis zur flexiblen Anlagenansteuerung mit der SOFT-SCADA operativ. Das wichtigste ist jedoch, dass die Mitarbeitenden, vom IT-Management bis zum Werker oder der Qualitätsingenieurin anhand des integrierten Modells die nächsten Schritte gemeinsam gehen können. Dazu gehört zum Beispiel die Ableitung eines Blueprint Plant Models (BPPM), mit dessen Hilfe auf Basis des erarbeiteten Modells global Schwesterwerke so realisiert werden können, dass sie optimal an die jeweiligen Marktbedingungen angepasst sind und sich trotzdem in hohem Maße ähneln. Das Team, das aktuell damit betraut ist, ein neues Werk einzurichten, möchte das BPPM am liebsten schon Anfang 2025 als Realisierungsbasis für alle Partner einsetzen.