Die Stadt von Morgen

Interview mit Gudrun Sack, Tegel Projekt GmbH

Nach der Schließung des Flughafens Tegel wächst auf dessen ehemaligem Areal unter anderem ein neues Wohnviertel heran: Das Schumacher Quartier soll ein nachhaltiges, smartes und soziales Zuhause für mehr als 10 000 Menschen werden. Wir sprachen mit Gudrun Sack, Geschäftsführerin der Tegel Projekt GmbH, über Berlins ambitioniertes Vorzeigeprojekt.

© Tegel Projekt GmbH
Mit »Berlin TXL – The Urban Tech Republic« entsteht ein Innovationspark für urbane Technologien.
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Quartiersstraße im künftigen Schumacher Quartier

futur: Frau Sack, Sie sind seit Mai 2021 als Geschäftsführerin bei der Tegel Projekt GmbH sowohl für das Wohnquartier als auch den Innovationspark zuständig. Wie ist der aktuelle Stand der Planung?

Sack:

Die Planungen für beide Projekte sind weit gediehen und beruhen auf nunmehr zehn Jahren intensiver Auseinandersetzung mit der Frage, wie wir künftig in unseren Städten leben wollen. Dabei sind für die Urban Tech Republic und das Schumacher Quartier Konzepte entstanden, die beispielgebend innovativ sind. Diese gilt es nun umzusetzen und das ist für uns ein genauso spannender wie herausfordernder Prozess.

Im Kern der Urban Tech Republic, nämlich im ehemaligen Hauptterminal, wird eine Hochschule zu Hause sein und darum herum schaffen wir Platz für bis zu 1 000 Start-ups und Unternehmen, die sich mit innovativen Technologien für unsere Städte beschäftigen. Angewendet werden sie idealerweise gleich nebenan im Schumacher Quartier. Ein smartes, CO2-neutrales Stadtviertel wird das sein, hochmodern, sozial gemischt, mit bezahlbaren Mieten. Beiden Projekten gemein ist ihr Modellcharakter mit einer Vielzahl an Einzelinnovationen. Konzepte wie das autofreie Quartier oder die 15-Minuten-Stadt kommen hier ebenso zur Anwendung wie ein neuartiges Energiesystem, das Schwammstadtprinzip oder Animal-Aided-Design.

futur: Wo stehen Sie gerade ganz konkret?

Sack:

 Im August 2021 haben wir das Projektgelände des früheren Flughafens übernommen und seitdem laufen parallel zu den Planungen die ersten Schritte der Umsetzung. Konkret beschäftigen uns aktuell Kampfmittelräumungen und Vorbereitungen für den Tiefbau. Die ersten Bebauungspläne sind festgesetzt, die Grundstücksvergabe kann in diesem Jahr starten und wir freuen uns, erste Unternehmen am Standort zu haben. 1600 m2 in Büros und Werkstätten sowie 6 000 m2 Experimentierflächen werden im künftigen Forschungs- und Industriepark schon heute genutzt. Das ist großartig. Parallel zu den Sanierungen der denkmalgeschützten Flughafengebäude beginnt 2024 die erste große Bauphase. Geplant ist, dass 2027 der erste Bauabschnitt in der Urban Tech Republic abgeschlossen ist und im Schumacher Quartier die ersten Holzgebäude stehen.

futur:  Das Schumacher Quartier gilt als Modellprojekt für eine an die Auswirkungen des Klimawandels angepasste Quartiersentwicklung. Was unternehmen Sie konkret, um das neue Stadtviertel klimaneutral zu gestalten? 

Sack:

Im Schumacher Quartier kommen verschiedene Bausteine zum Tragen, die nicht nur auf Klimaneutralität, sondern auch auf Klimaresilienz abzielen. So setzen wir auf nachhaltige Rohstoffe, erneuerbare Energien, den sensiblen Umgang mit Ressourcen und einen bewussten Blick auf den CO2-Abdruck, den wir hinterlassen – bei allem, was wir tun. Unser großes Thema ist die Kreislaufwirtschaft. Wir denken nicht in Verbrauch, sondern in der Weiter- und Wiederverwendung von Rohstoffen innerhalb eines Kreislaufsystems. Das betrifft das Schumacher Quartier, aber auch die Urban Tech Republic, wo wir zum Beispiel kaum Gebäude abreißen, sondern umbauen oder den Beton der vielen versiegelten Flächen recyceln.

»Unsere Vision ist, Holzbau auf industrielles Niveau zu skalieren und dem klimafreundlichen Bauen so zum Durchbruch zu verhelfen.«

– Gudrun Sack

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Zukunft aus der Vogelperspektive: Auf dem ehemaligen Gelände des Flughafens Tegel entstehen ein Forschungs- und Industriepark für urbane Technologien und ein neues Wohnviertel.
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Umweltschonende Mobilität wird bei der Quartiersplanung mitgedacht.

futur: Inwieweit wird das Schumacher Quartier dabei von dem benachbarten Innovationspark profitieren? 

Sack:

Ganz unmittelbar. Das Schumacher Quartier gilt als Modellquartier für die »Stadt von morgen« und neue Formen des Bauens. Die technologischen Grundlagen hierfür werden in der Urban Tech Republic erforscht, erprobt, produziert und in markttaugliche Lösungen überführt. Angefangen beim effizienten Einsatz von Energie über nachhaltiges Bauen, umweltschonende Mobilität, Recycling und die vernetzte Steuerung von Systemen bis hin zu sauberem Wasser und dem Einsatz neuer Materialien. Wenn wir unser Projektgebiet betrachten, dann finden Forschung, Entwicklung, Produktion und Anwendung in einem 500 Hektar großen Mikrokosmos statt, in dem das »System Stadt« mit all seinen Facetten neu gedacht und zukunftsfähig ausgestaltet werden kann.  

futur: Welche Rolle spielt der Rohstoff Holz im städtebaulichen Konzept des Schumacher Quartiers?

Sack:

Eine sehr große. Nichts Geringeres als das größte urbane Holzbau-Quartier der Welt soll hier entstehen. Unsere Vision ist, Holzbau auf industrielles Niveau zu skalieren und dem klimafreundlichen Bauen so zum Durchbruch zu verhelfen. Wir wollen Holzbau attraktiv und konkurrenzfähig machen und gleichzeitig 80 Prozent klimaschädlicher Emissionen sparen. Angesichts der Tatsache, dass der Gebäudesektor für fast 40 Prozent aller CO2- Emissionen verantwortlich ist, ist eine Bauwende alternativlos. Mit dem Schumacher Quartier können wir zeigen, welche nachhaltigen Innovationen in der Quartiersentwicklung möglich sind.

futur: Expertinnen und Experten des Fraunhofer IPK haben untersucht, wie Architektur in Holzbauweise in solch einer Größenordnung gelingen kann. Industrie 4.0-Technologien können dazu einen wesentlichen Beitrag leisten. Welche Vorteile versprechen Sie sich von Digitalisierung und Automatisierung im Holzbau? 

Sack:

Digitalisierung zieht sich als roter Faden durch die Nachnutzung des Flughafens Tegel. Dabei planen wir nicht nur digital, sondern bauen auch eine digitale Infrastruktur mit eigener Datenplattform auf. Und natürlich liegen auch für den Holzbau die Vorteile von Digitalisierung und Automatisierung auf der Hand. Sie machen die Vorfertigung schneller, effizienter, kontrollierbarer und sind aus der seriellen Produktion nicht wegzudenken. Das Bauvolumen, das wir mit dem Schumacher Quartier vor der Brust haben, ist ohne digitalisierte Planungs- und Fertigungsprozesse schlicht nicht machbar. Der Holzbau ist sowieso schon sehr digitalisiert unterwegs. Für die Anforderungen eines klimapositiven Bauens ist der Vorfertigungsgrad im Holzbau ein wesentlicher Vorteil, wenn Sie beispielsweise an den Blower-Door-Test denken. Mit einem sehr hohen Grad an Vorfertigung ist es viel einfacher, präzise Bauteile herzustellen.

futur: Wenn Sie zehn Jahre in die Zukunft blicken, dann …

Sack:

… wurde die Bauwende vollzogen. Wir bauen weniger, aber dafür klimaschonender und qualitativ besser. Berlin TXL ist dabei beispielhaft vorangegangen. Hier wurden die ersten 3D gedruckten Holzfassaden gefertigt, Wohnblöcke mit integrierten, autark funktionierenden Gemüseanbauflächen realisiert und vieles mehr. Im Schumacher Quartier konnte sozialverträglicher Wohnungsbau mit einer interessanten Akteursmischung verwirklicht werden; ein lebendiges, buntes und naturverbundenes Wohnviertel ist entstanden. Und die klugen Lösungen für solch lebenswerte Quartiere – die entstehen in der wachsenden Urban Tech Republic, Berlins Innovations-Hub für urbane Technologien.

Gudrun Sack

© Jonas Maron

Geschäftsführerin der Tegel Projekt GmbH 

Gudrun Sacks Schwerpunkte liegen im nachhaltigen Planen und Bauen, in der Verankerung von Qualitäten und neuen Standards im Bau sowie in der Umsetzung von zukunftsweisenden und gleichzeitig praktikablen städtebaulichen Lösungen. Die ausgebildete Restauratorin startete nach ihrem Architekturstudium an der Technischen Universität Berlin und an der Hochschule für angewandte Kunst Wien ihre berufliche Laufbahn bei Norman Foster in London. Nach einer Zwischenstation bei Alsop Störmer Architekten in Hamburg arbeitete sie als wissenschaftliche Assistentin im Fachbereich Architektur der Universität der Künste Berlin. Mehr als 20 Jahre war Gudrun Sack Geschäftsführern bei NÄGELIARCHITEKTEN mit Büros in Berlin und Karlsruhe. Sie war u. a. Vorstandsmitglied der Architektenkammer Berlin sowie des Netzwerks Berliner Baugruppen Architekten und ist Mitglied im Arbeitskreis Wohnungsbau beim BDA – Bund Deutscher Architektinnen und Architekten.