Wie kann man seinen Kiez lebenswerter gestalten? Der Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf schlägt auf der Mierendorff-Insel rund um den gleichnamigen Platz neue Wege ein und baut dabei auf wissenschaftlich fundierte Modellprojekte.
Einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung der Nachbarschaft soll ein »flexibler Quartiers-Hub«, kurz: »Flex Q-Hub« leisten. Er dient als Ausgangspunkt für die quartiersbezogene Logistik, die eine umweltfreundliche und stadtverträgliche Abwicklung von Lieferverkehren im urbanen Raum zum Ziel hat. Der Hub, eine anbieteroffene Paketstation, ermöglicht neben der Paketeinlieferung- und Abholung durch Privatpersonen auch Zwischenlagerungen durch Kurier-, Express- und Paketdienste. Auch die Möglichkeit eines Werkzeug-Sharings für die Anwohnerinnen und Anwohner soll erprobt werden.
Der Clou am Flex Q-Hub sind seine intelligenten Fächer. Jedes Fach hat dabei eine eigene Strategie. Auf einem virtuellen Markt verhandeln sie untereinander ihre Ange-bote, um nach außen als einheitliches System aufzutreten. Manuel Bösing, Projektleiter am Fraunhofer IPK, beschreibt das System so: »Jedes Fach handelt als eigener Agent mit individuellen Attributen. Im Kollektiv arbeiten sie als Multi-Agenten-System, um verschiedene private und gewerbliche Kundenwünsche intelligent zu verarbeiten. Dadurch kann eine optimale Auslastung des Flex-Q-Hubs sichergestellt werden. Durch die Berücksichtigung individueller Wünsche erfolgt eine engere Kundenbindung.« Dabei werden jeweils Profile angelegt, um die Auswahlhistorie der einzelnen Kunden und Kundinnen abzuspeichern. Die getroffenen Entscheidungen fließen in die zukünftige Zuteilung der Fächer ein. Bucht eine Person beispielsweise immer zu einer festen Zeit ein bestimmtes Fach, so kann dieses Verhaltensmuster durch eine assistierende KI aufgezeichnet werden. Das entsprechende Fach oder Fächer mit ähnlichen Attributen werden für den aufgezeichneten Zeitraum freigehalten. So kann sichergestellt werden, dass wiederkehrende Kundinnen und Kunden stets ein passendes Fach vorfinden.
Die Entwicklung und Weiterentwicklung des Multi-Agenten-Systems mit der assistierenden KI obliegt dem Team des Fraunhofer IPK. Ein Prototyp des Flex Q-Hubs steht bereits seit Juni 2021 auf dem Mierendorffplatz in Berlin-Charlottenburg, unweit des Fraunhofer IPK. Unter dem Titel »mieri-mobil« wird ein Teil des Mierendorffplatzes dazu genutzt, zukunftsweisende Konzepte zu erproben, die den Bezirk nachhaltiger und sozialer machen sollen. »Der Flex-Q-Hub wird gerne in Anspruch genommen, weil er einfach ist und mehr Flexibilität ins eigene Leben bringt«, so Manuel Bösing. Ein besonderer Hingucker ist er jedenfalls, denn die einzelnen Fächer sind von außen in aufsehenerregender 3D-Optik gestaltet.
Die Aufdrucke zeigen wie durch einen Röntgenblick, was sich hinter den Türen verbergen könnte: eine Zimmerpflanze vielleicht? Ein Fahrradschlauch? Neue Sneakers? Das Design ist das Ergebnis eines Gestaltungswettbewerbs, den der Architekt und Designer Klemens Sitzmann für sich entscheiden konnte. Zur Bedeutung des Designs im Rahmen des Projekts sagt Sitzmann: »Gute Ideen müssen an die Menschen gebracht werden, und gerade in Berlin ist ein sensibler Umgang und gelungene Kommunikation Schlüssel zur Akzeptanz neuer Projekte. Innovation muss Spaß machen, Fortschritt muss beleben.«
Der Prototyp ist als Kernelement des Forschungsprojekts »Stadtquartier 4.1« entstanden, in dem sich Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft mit der Frage auseinandersetzen, wie urbane Logistik in Zukunft aussehen kann. Beteiligt sind neben dem Fraunhofer IPK auch die LogisticNetwork Consultants GmbH (LNC), das Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) sowie die insel-projekt.berlin UG (IPB). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt »Stadtquartier 4.1« noch bis zum 31.04.2022 auf Grundlage der Fördermaßnahme »Anschlussvorhaben nachhaltige Transformation urbaner Räume«.