Maßgeschneiderte Skills

Fit für die Digitalisierung in der Produktion? Mit Hilfe einer KI-basierten Lernplattform können KMU ihre Mitarbeitenden individuell für die vernetzte Fertigung weiterbilden.

Der Fachkräftemangel in Deutschland ist nicht nur eine Folge des altbekannten demografischen Wandels und der Herausforderungen, mit denen sich Firmen bei der Integration qualifizierter Zugewanderter konfrontiert sehen, sondern auch ein Weiterbildungsproblem: Durch die Automatisierungswelle der Industrie 4.0 verändern sich die Anforderungen an die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Beschäftigten, ganze Berufsbilder wandeln sich. Für die Bedienung von Maschinen werden zum Beispiel heutzutage oft eher Kenntnisse im Programmieren als in der Mechatronik benötigt. Für diese neue Aufgaben in der digitalen, vernetzten Produktion müssen Unternehmen ihre Mitarbeitenden strategisch beruflich qualifizieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Doch während große Konzerne ihr Personal systematisch weiterbilden, fehlen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) dafür oft die Kapazitäten. 

Hier setzt das Projekt KIRA Pro an, das mittelständischen Industrieunternehmen dabei hilft, zielgerichtet zu bewerten und abzuwägen, in welchen Bereichen mittelfristig Kompetenzen auf- und ausgebaut werden müssen. Ziel ist es dabei, die strategische Ebene des Unternehmens – also die Frage: Wo soll die Entwicklung hingehen? – direkt mit der operativen Ebene, also der konkreten Weiterbildung der einzelnen Mitarbeitenden zusammen zu denken. Hierfür hat das KIRA Pro-Projektteam einen Lernpfadgenerator entwickelt. Die KI-unterstützte Lernplattform assistiert KMU bei der strategischen Personalentwicklung, indem sie die tatsächlichen Fähigkeiten der Mitarbeitenden mit den benötigten vergleicht und einen Lernpfad mit einer personalisierten Auswahl von Lerninhalten erstellt. Dabei matcht das KI-basierte System vier Parameter: die betrieblichen Anforderungen (Soll-Profile), die persönlichen Entwicklungsziele der Mitarbeitenden (Präferenzen), deren individuelles Kompetenzniveau (Ist-Profile) und die verfügbare Weiterbildungspalette (Angebot).

© Fraunhofer IPK/Larissa Klassen
Katrin Singer-Coudoux und ihre Kollegin Maria Kretschmer implementieren KIRA Pro in Unternehmen.

Voll im Trend

Die vom Technologiepartner Peers Solutions GmbH entwickelte Lernplattform generiert mit Hilfe eines KI-basierten Assistenzsystems adaptive Lernpfade und berücksichtigt dabei die aktuellen Entwicklungen und vielfältigen Trends am Weiterbildungsmarkt – Stichwort New Learning: 

  • So bietet die entwickelte Plattform den Lernenden eine hohe Flexibilität, die angesichts sich wandelnder Technologien und einer gesteigerten Umweltdynamik schnellere Lernprozesse ermöglicht. 
  • Die so erreichte Flexibilisierung bedingt individuelles und selbstgesteuertes Lernen, das ebenfalls durch die Lernplattform möglich gemacht wird. Die Lernenden und ihre Bedürfnisse stehen im Mittelpunkt. Sie nehmen eine aktive Rolle im Lernprozess ein, weshalb parallel ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Reflexionsfähigkeit gefördert wird. 
  • Zudem werden auf der Lernplattform Wissensinhalte in kleine Einheiten portioniert. Diese Form des Microlearnings gilt als eine der relevantesten digitalen Lernformen der kommenden Jahre, da sie modulares und somit flexibles Lernen ermöglicht. 
  • Schließlich stehen den Lernenden auf der Plattform neue, digitale Lernformate wie Podcasts, E-Learnings, Virtual Reality zur Verfügung.

Für die Generierung der adaptiven Lernpfade werden anhand einer Bewertungssystematik, dem sogenannten Skill-Gap-Assessment, zunächst Lücken zwischen den gegenwärtig verfügbaren und per-spektivisch benötigten Kompetenzen identifiziert. Dazu wird die Selbsteinschätzung der Mitarbeitenden (IST 1) mit der Fremdeinschätzung durch die jeweilige Führungskraft (IST 2) kombiniert und mit den von der Führungsebene vorgegebenen Zielwerten (SOLL) abgeglichen. Der KI-Algorithmus analysiert die größten Wissenslücken (sprich: den Unterschied zwischen IST und SOLL) in Kombination mit dem größten Lernpotenzial (auf einer Skala von 0 für Einsteiger*innen bis 100 für Expert*innen), und verknüpft diese mit den ausgewählten Lernpräferenzen – etwa zu Wunschskills und Lernformaten – sowie der individuellen Lernkapazität. Auf dieser Grundlage schlägt das System dann zur Person passende Lerninhalte und Übungen vor. Diese personalisierten Lernpfade, die sich automatisch an die individuellen Bedürfnisse, Fähigkeiten und Lernfortschritte anpassen, ermöglichen eine optimale Lernerfahrung, da Nutzerinnen und Nutzer in ihrem eigenen Tempo Fortschritte machen können.

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© Fraunhofer IPK/Larissa Klassen
Maria Kretschmer aus dem KIRA Pro-Projektteam

Hinein in die Anwendung

Um die Plattform passgenau in die Anwendung in Unternehmen zu bringen, veranstalteten Forschende des Fraunhofer IPK projektbegleitende Workshops in den Unternehmen Harms & Wende und FBT Feinblechtechnik. Ziel der Workshops war es, die Unternehmen dabei zu unterstützen, eine ganzheitliche betriebliche Transformations- und Kompetenzentwicklungsstrategie zu entwickeln und umzusetzen. 

Strategische Personalentwicklung mit Karriereframework

Gemeinsam mit der auf Schweißtechnik spezialisierten Firma Harms & Wende hat das Fraunhofer IPK-Team im Rahmen der begleitenden Organisationsentwicklung ein sogenanntes »Karriereframework« konzipiert und umgesetzt. Es ermöglichte dem KMU, unternehmensinterne Karrierepfade systematisch zu generieren und damit die Karriereentwicklung seiner Mitarbeitenden langfristig zu fördern. Der Clue dabei: Durch vergleichbare kompetenzorientierte Rollenprofile, die in Basis- und Add-on-Rollen unterschieden wurden, können Karrierepfade modular zusammengesetzt werden. Mit den Basisrollen lassen sich klassische Karrierepfade wie beispielsweise die Evolution von der Junior-Hardwareentwicklerin zur Senior- Hardwareentwicklerin abbilden. Die Add-on-Rollen wie zum Beispiel die Projektleiterin stellen hingegen Zusatzqualifikationen dar, die mit den Basisrollen kombiniert werden können. Diese zusätzlichen, kleineren Zielprofile helfen dabei, vorhandenen Engpässen im Team kurzfristig entgegenwirken zu können und Mitarbeitende passgenau auf die strategischen Transformationsziele des Unternehmens hin weiterzubilden. 

Von der Prozess-Mitarbeitenden-Matrix zum Skillprofil

Zusammen mit der FBT Feinblechtechnik haben Fraunhofer IPK-Forschende die systematische Kompetenzentwicklung aus Perspektive des Qualitätsmanagements (QM) vorangetrieben. Das KMU ist wie zahlreiche Unternehmen in Deutschland nach dem Qualitätsmanagement-Standard ISO 9001:2015 zertifiziert, weshalb bereits eine sehr detaillierte Qualitätsmanagementdokumentation vorhanden war. So konnten die Forschenden auf eine Prozesskarte, eine Prozess-Mitarbeitenden-Matrix sowie 50 Teilprozessbeschreibungen zurückgreifen, um in einem mehrstufigen Vorgehen Skillprofile auf der Ebene von Haupt- und Teilprozessen sowie schließlich Rollen zu entwickeln. Diese QM-getriebene Ableitung von Skillprofilen bis zur personellen Ebene hilft dabei, den Tätigkeitsbezug bei der Qualifikation nicht aus den Augen zu verlieren. So können bei der Weiterbildung mit der Lernplattform insbesondere diejenigen Kompetenzen priorisiert werden, die für die Unternehmensprozesse zentral sind oder besonders häufig vorkommen. Das gewählte Vorgehen erfüllt außerdem die Anforderungen verschiedener QM-Rahmenwerke wie ISO oder EFQM an die Kompetenzentwicklung der Mitarbeitenden: Es werden relevante Skills aus den Unternehmenszielen abgeleitet, verfügbare Kompetenzen bewertet und Kompetenzlücken identifiziert. Auf dieser Basis können geeignete Qualifizierungsmaßnahmen auf personeller Ebene abgeleitet und umgesetzt werden, die zugleich entsprechend dokumentiert sind, um die Überprüfung und Bewertung der Wirksamkeit der Maßnahmen zu belegen – auch gegenüber Dritten wie beispielsweise Auditoren.

KIRA Pro im Überblick

  • Bezug zu Strategie und Zielen des Unternehmens und zu etablierten QM-Standards
  • Personalisierung durch maßgeschneiderte Lernpfade, die individuell auf die Rolle und das vorhandene Kompetenzniveau zugeschnitten sind 
  • Matching-Funktion zwischen den betrieblichen Anforderungen, persönlichen Entwicklungszielen und Präferenzen sowie den verfügbaren Weiterbildungsangeboten 
  • Ganzheitliches KI-basiertes Tool zur Unterstützung von Talent- und Performance-Management 
 

Mehr erfahren

KIRA Pro – KI verbindet Weiterbildungsangebote zu Qualifikationspfaden

Förderhinweis

Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt KIRA Pro wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Innovationswettbewerb INVITE (Digitale Plattform berufliche Weiterbildung) unter dem Kennzeichen 21INVI11 gefördert und vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) betreut.