Königsdisziplin Komplexitätsmanagement

KSB zählt zu den führenden Herstellern von Pumpen und Industriearmaturen. Mit mehr als 16 000 Mitarbeitenden weltweit sowie eigenen Vertriebsgesellschaften, Fertigungsstätten und Servicebetrieben entwickelt und fertigt KSB maßgeschneiderte Pumpen für verschiedenste Anwendungen.

Wir sprachen mit Frank Moos, Vice President Global Process Manage­ment darüber, welche Rolle ein robustes Geschäftsprozessmanagement für den Erfolg des Unternehmens spielt und wie Assistenzsysteme dabei unterstützen.

FUTUR: Herr Moos, von KSB heißt es, keine Pumpe gleiche der anderen. Wie stellen Sie die große Variantenvielfalt für unterschiedliche Anwendungen, zum Beispiel in der Gebäude-, Industrie-, Wasser- oder Energietechnik sicher? 

Moos:

Die Königsdisziplin von KSB ist das Konfigurations- und Komplexitätsmanagement. Unser Produktkatalog enthält rund 360 000 Varianten, die über unseren Webshop bestellt werden können. In unseren Konfiguratoren können wir derzeit 2,5 mal 1047 Varianten generieren. Selbst bei der am meisten standardisierten Pumpe haben wir eine Wiederholrate von 1,8. Das ist schon immens. Dass wir so viele Varianten anbieten können, stellt uns immer wieder vor vielfältige Herausforderungen. Das reicht von der Beschaffung der Teile bis zur Dokumentation. Und das funktioniert nur, wenn die Geschäftsprozesse dahinter sauber aufgesetzt sind. Da kommen wir vom zentralen globalen Prozessmanagement ins Spiel. 

FUTUR: Wie haben Sie die Geschäftsprozesse aufgesetzt?

Moos:

Die Methoden und Werkzeuge dafür stellen wir in meinem Team bereit. Wir nutzen MO²GO, einen modellbasierten Prozessassistenten des Fraunhofer IPK als Basis sowie eine Process Mining Software von Celonis. Und dann haben wir sogenannte Global Process Owner, die das Rahmenwerk für die Prozesse und die Prozessarchitektur festlegen. Für unsere Standardprodukte im Webshop ist der Standardprozess im Verkauf immer gleich: Es gibt eine Kundenanfrage, ein Angebot wird erstellt, die Bestellung wird produziert, ausgeliefert und bezahlt. 

Im Bereich Großpumpen wird es deutlich komplizierter, denn hier haben wir zusätzlich ein Stakeholder Management und müssen sowohl technische und kaufmännische Anforderungen abstimmen, als auch geopolitische Rahmenbedingungen berücksichtigen. Dafür haben wir globale Prozesseigner, die unterschiedliche Märkte, Produkte und Geschäftstypen im Blick haben und das Rahmenwerk aufbauen, das länderspezifische Regularien und Marktbedingungen berücksichtigt. Darunter liegen die Local Process Owner, die die Anforderungen auf lokaler Ebene managen beziehungsweise ausprägen, zum Beispiel, weil es lokal andere Gesetze und Vorschriften gibt. Parallel dazu haben wir unser Lean Management Team etabliert. Diese Ebenen müssen alle operativ ineinanderwirken. Unsere Idee, die wir bei KSB umsetzen, ist: Wir stellen ein zentrales Prozesswerkzeug als Architektur bereit, in unserem Fall MO²GO, und schaffen damit von oben nach unten so weit, wie es notwendig ist, gleichmäßig harmonisierte Prozesse und Standardwerkzeuge. Kommen weitere Details hinzu, prägen wir sie über Verfahren und Richtlinien nach innen weiter aus.

FUTUR: Welche Vorteile bringt MO²GO Ihrem Unternehmen im Vergleich zu anderen Prozessassistenten? 

Moos:

Der Fraunhofer IPK-Prozessassistent liefert mit der objektorientierten Modellierungsweise die Möglichkeit, dass ich Prozesse transparent aufspannen kann – sowohl horizontal als auch vertikal. Also ich kann sagen: Ich erstelle ein Angebot, darauf folgen zehn, zwanzig Schritte in unterschiedlicher Reihenfolge und dann weiß ich genau, was hinten raus passiert. Aber ich kann das um jede Ressource anreichern, die ich benötige, um diesen Prozess durchzuführen. Also schaue ich nicht nur von links nach rechts, sondern ich sehe auch noch, was bei jedem Prozess von unten nach oben passiert. Welche Rollen, welche Dokumente sind beteiligt? Welche Richtlinien wirken auf den Prozess ein, welche Maschinen? Ich kann x-beliebig verschiedene Variablen an einen Prozess andocken und schauen: Was passiert, wenn ich eine einzelne Variable anpasse und welche Wirkung erzielt das in meinem Prozessmodell. Diese kontextuelle Sicht, die MO²GO auf Prozesse und Ressourcen liefert, ist ein immenser Vorteil gegenüber jeder anderen Prozessdokumentation. 

Und das ist auch ein Vorteil für unsere großen internationalen Pumpenprojekte, die nicht selten über viele Jahre laufen. Aufbauend auf der MO²GO Prozessarchitektur nutzen wir dafür einen Projekt-Prozessassistenten, der generisch aufgebaut ist und uns bei der Qualitätssicherung für prozessbasierte Projekte anhand von Meilensteinen unterstützt. Damit erhalten wir tatsächlich auch ein aktuelles Projektlagebild und können erkennen: Okay, wir haben bei neun von 100 Projekten offene Punkte, die ein Risiko darstellen und sehen gleichzeitig, mit welchen Maßnahmen wir darauf reagieren können. Diesen Projektprozessassistenten nutzen unsere Projektmanager mittlerweile regelmäßig und prüfen jede Woche: Wo stehen einzelne Projekte? Welche Schritte in den Prozessen haben wir abgearbeitet? Welche Quality Gates haben wir erreicht? Gibt es Lessons Learned? Das wird jede Woche diskutiert und dann wird der Projekt-Prozessassistent mit dem entsprechenden Feedback befüllt und fortlaufend bearbeitet. Der Clou: Wenn wir am Ende eines langen Projekts feststellen, dass wir einen Prozessschritt anpassen sollten, um zum Beispiel die Qualität zu erhöhen, sehen wir über alle laufenden Projekte den Impact dieser Änderung. Wir sehen: Wo können wir diese Verbesserung noch umsetzen, wo nachholen oder – im Zweifel – wo könnte ein Risiko entstehen, und wie können wir das lösen.

© KSB SE & Co. KGaA
Pumpen, Armaturen und Services – das Portfolio von KSB ist äußerst variantenreich.

FUTUR: Stichwort Risikomanagement – Sie nutzen auch eine Risiko-Web-App, um zum Beispiel komplexe Regularien zu managen. Wie funktioniert das genau?

Moos:

Wir setzen auch hier auf der Prozessarchitektur auf und überlegen bei jedem Prozessschritt, den wir modellieren: Was könnte schiefgehen, sprich welche Risiken gibt es möglicherweise? Wie groß kann deren Auswirkung sein? Die Risikomanagement-Web-App, die wir gemeinsam mit dem Fraunhofer IPK entwickeln, visualisiert diese Risiken. Ähnlich wie bei einem Fieberthermometer kann ich erkennen, wie hoch ein Risiko ist und auch, wie es sich über einen Zeitraum verändert. Die App basiert auf den Kriterien des Prüfungsstandards PS 982 des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) und anderen einschlägigen Regelwerken, die Grundsätze für die Prüfung und Optimierung von internen Kontrollsystemen des internen und externen Berichtswesens festlegen. Beide Werkzeuge, der Projektprozessassistent und die Risikomanagement-App, werden mithilfe von Process Mining, wir nutzen hier wie gesagt Celonis, kontinuierlich analysiert und weiter optimiert. Das ist praktisch eine automatische prozessbasierte Kontrolle, über die wir testen, dass unsere integrierten Risiko- und Kontrollsysteme funktionieren. Das geht auch heute nicht mehr manuell, gerade was den Bereich Regularien angeht, wenn Sie als Unternehmen standortübergreifend global tätig sind. Denken Sie zum Beispiel an die unterschiedlichen Antikorruptionsgesetze, die national und international gelten – das überblicken Sie ohne Unterstützung im Sinne von Assistenzsystemen kaum noch.

FUTUR: Wo sollte Ihrer Ansicht nach die Entwicklung von Assistenzsystemen im Bereich Geschäftsprozesse hingehen? 

Moos:

Wir diskutieren tatsächlich gerade bei uns, die Mechanismen unserer Geschäftspartner-Risikoanalyse prozessbasiert weiter zu optimieren. Aber ich würde gerne auch das, was wir zusammen mit dem Fraunhofer IPK begonnen haben, weiterführen und präventiv Business-Impact-Analysen durchführen können. Dazu brauchen wir ein System, ähnlich wie ein neuronales Netzwerk, mit dem ich einzelne Prozessabschnitte noch deutlicher miteinander vernetzen kann, um nicht nur ein Lagebild, sondern auch eine Art Vorschau zu generieren: Was passiert, wenn …? Was passiert, als Beispiel, wenn in einer deutschen Gießerei eine Maschine ausfällt? Welche Auswirkungen hätte das auf die Montage in Indien, wenn das entsprechende Bauteil nicht geliefert wird? Was passiert, wenn IT-Systeme ausfallen? Welche »lebensnotwendigen« Fall-Back-Systeme habe ich? Wie weit komme ich damit im Falle eines Falls? Ein Geschäftsprozessmanagementsystem, das die gesamte Lieferkette umfasst, wäre toll. Damit könnten wir auch besser auf unvorhergesehene Ereignisse oder Krisen reagieren. Dann würden wir, bildlich gesprochen, den Eisberg, auf den man zufährt, viel früher sehen und könnten viel besser gegensteuern.