Klimaneutral produzieren – kleine Schritte, große Wirkung

Alumni-Kolumne von Prof. Dr. Alexander Mattes, Fachhochschule Kiel

Neben der weiter voranschreitenden Digitalisierung ist die CO2-freie Produktion eines der wichtigsten Trendthemen in der Industrie. Viele Großunternehmen haben sich bereits feste Ziele gesetzt, bis wann sie welche Mengen CO2 einsparen wollen.

Wo können Unternehmen, insbesondere im mittelständischen Umfeld, am besten ansetzen, wenn sie klimaneutral produzieren wollen? Wie können Sie den Energieverbrauch pro bearbeitetem Werkstück am deutlichsten reduzieren? Energetische Maßnahmen in der Gebäudeinfrastruktur oder energieeffiziente Automatisierungslösungen sind zwar unbestritten wirksam, häufig aber mit hohen Investitionen verbunden. Eine smarte, weil kostengünstige und praxisnahe Alternative sind mobile Assistenzsysteme für den Shopfloor. Sie unterstützen nicht nur die Mitarbeiter in der Produktion bei der energiesparende Auslastung von Fertigungsanlagen, sondern nutzen umgekehrt auch deren oft intuitives Erfahrungswissen in der Bedienung von Werkzeugmaschinen. Im Ergebnis können auch kleine und mittlere Unternehmen den Energieverbrauch ihres Shopfloors optimieren und die Energieeffizienz ihrer Produkte steigern.

Tatsache ist, dass bei Werkzeugmaschinen eine Vielzahl an Nebenaggregaten den größten Anteil des Stromverbrauchs ausmacht. Kommt es aufgrund von Prozessstörungen zu ungeplanten Stillständen, laufen sie einfach weiter. Dabei verursachen sie einen erheblichen Energieverbrauch, ohne dass eine Wertschöpfung, das heißt eine Bearbeitung des zu fertigenden Produkts stattfindet. Intelligente Assistenzsysteme zeigen auf der Basis von Sensordaten aus der Prozessüberwachung dem Maschinenbediener solche Prozessstörungen direkt während der Bauteilbearbeitung an.

Auf diese Weise kann der Mitarbeiter selbst dann noch schnell reagieren, wenn er sich gerade an einer anderen Maschine befindet. Dieses Szenario aus der mannarmen Produktion kann mithilfe von Künstlicher Intelligenz sogar noch weiter gedacht werden: Mit KI ausgestattete Assistenzsysteme würden bereits auf der Basis von Erfahrungsdaten dem Bediener melden, wenn lediglich Hinweise auf eine drohende Störung im Prozess vorliegen. Gleichzeitig würde der Bediener Vorschläge erhalten, wie der Prozess korrigiert werden kann, bevor es zum ungeplanten Stillstand kommt. Damit könnten Hersteller die Prozessstabilität erheblich verbessern und die Energie- und Kosteneffizienz ihrer Produktion gleichermaßen steigern. Durch den vergleichsweise geringen Investitionsaufwand ist zudem ein unternehmerisch attraktiver, kurzfristiger Return-on-Invest realisierbar.

Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Produktion bieten solche Assistenzsysteme entscheidende Vorteile: Sie erweitern ihren Handlungsspielraum, geben Orientierung und Entscheidungshilfe bei zunehmend komplexeren Aufgaben und sorgen für Entlastung in Bereichen mit hohem Leistungsdruck. Voraussetzung ist, dass sie konsequent praxisbezogen ausgelegt sind. Dafür sollten die Messdaten der Prozessüberwachung mit einer auf hohem Niveau entwickelten User Experience (UX) verknüpft werden, die die Eindrücke und Reaktionen der Nutzer während der Interaktion mit dem jeweiligen Assistenzsystem berücksichtigt. Können Maschinenbediener darüber hinaus ihre Kompetenzen einbringen, vielleicht sogar zugrundeliegende KI-Algorithmen mit dem eigenen Wissen trainieren, und behalten sie die Entscheidungshoheit über ihre Prozesse, wirkt sich das positiv auf ihre Akzeptanz gegenüber solchen Systemen aus. Die Erfahrung, mit der eigenen Tätigkeit direkt zur Steigerung der Ressourceneffizienz im Unternehmen beizutragen und einen persönlichen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, sorgt dann nichtzuletzt für eine hohe Mitarbeitermotivation.

Prof. Dr.-Ing. Alexander Mattes,

Jahrgang 1978, studierte Maschinenbau am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und promovierte 2008 im Bereich spanende Fertigung am Fraunhofer IPK in Berlin. Nach verschiedenen Stationen und Führungspositionen bei Rolls-Royce Deutschland, der Siemens AG sowie Multivac SE ist er seit 2018 Professor für Fertigungstechnologie an der Fachhochschule Kiel. Am dortigen Institut für CIM-Technologietransfer (CIMTT) treibt er vor allem die Entwicklung von Assistenz-Apps für Anlagenbediener voran. »Facharbeiter sind die zentralen Know-how-Träger in der Produktion. Mit der Einführung von Edge Computing an Fertigungsanlagen ermöglichen wir ihnen, Sensordaten direkt für die Optimierung ihrer Prozesse zu nutzen,« fasst der Fraunhofer-Alumnus seinen aktuellen Forschungsschwerpunkt zusammen.

© Matthias Pilch
Prof. Dr. Alexander Mattes