Mit Innovationen Chancen sichern

Die Erfahrungen aus zurückliegenden Konjunktureinbrüchen zeigen, dass Unternehmen, die auch in Krisenzeiten innovationsstark bleiben, deutlich widerstandsfähiger sind als andere. Roland Bent, CTO von Phoenix Contact und Eckart Uhlmann, Institutsleiter des Fraunhofer IPK diskutieren vor dem Hintergrund der aktuellen Pandemie, wie Unternehmen schwierige Phasen nicht nur meistern, sondern an ihnen wachsen können.

© Fraunhofer IPK
Prof. Dr. h. c. Dr.-Ing. Eckart Uhlmann
© Phoenix Contact
Roland Bent, Chief Technology Officer von Phoenix Contact

futur: Herr Bent, Phoenix Contact ist als einziges deutsches Unternehmen laut Clarivate einer von weltweit 24 »Innovators to watch« für das Ranking der »Top 100 Global Innovators«. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?

Bent:

Das ist, glaube ich, unser Wille, die Dinge immer noch ein bisschen besser zu machen. Wir haben den Anspruch, technologisch führend zu sein. Das liegt in der DNA von Phoenix Contact und wird von der Inhaberfamilie vorgelebt und prägend als Unternehmensphilosophie unseren Mitarbeitenden weitergegeben. Hinzu kommt: Wir haben unser Produktportfolio für ein Unternehmen unserer Größe außergewöhnlich breit aufgestellt. Wir decken die industrielle Automatisierungs- und Verbindungstechnik komplett ab und das mit einer hohen Wertschöpfungstiefe und dem Anspruch, die Technologien, die wir dazu benötigen, auch selbst zu beherrschen. Das reicht von der Reihenklemme, einem einfachen verbindungstechnischen Element bis hin zu Cybersecurity, Software und Cloud-Konnektivität. Wir wollen Trends nicht nur folgen, sondern sie auch setzen. Und wir wollen auf dem Treppchen stehen, wenn die Marktanteile verteilt werden.

 

futur: Herr Uhlmann, wie gelingt es Fraunhofer sich seit sieben Jahren im Ranking zu behaupten?

Uhlmann:

Das wurde uns quasi in die Wiege gelegt. Fraunhofer wurde ja 1949 gegründet, um der Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf die Beine zu helfen. Und zwar mit anwendungsorientierter Forschung und Entwicklung und dem Anspruch, neue Ideen und Technologien in Produkte umzusetzen, die sich im Markt durchsetzen können. Dieses zur Innovation verpflichtet sein ist auch das, was uns heute noch antreibt. Die Verwertung der Lösungen, die wir als Prototypen bis zur Anwendungsreife entwickeln, spielt deshalb eine zentrale Rolle in unserem Innovationsprozess. Deshalb zählt Fraunhofer weltweit zu den aktivsten Patentanmeldern.

 

futur: Welche Rahmenbedingungen sind für eine erfolgreiche Innovationsstrategie notwendig?

Bent:

 Zunächst einmal muss sie mit der Unternehmensstrategie verzahnt sein. Das klingt trivial, ist aber nicht immer der Fall. Und Sie brauchen vor allem eine Innovationskultur. Wir brauchen Mitarbeitende, die sich als Unternehmer fühlen und Verantwortung für den Erfolg des Unternehmens übernehmen. Wir brauchen Risikobereitschaft: Fehler gehören zu einem Erfolg dazu. Marktnähe: Ein Entwickler, der nie die Anwendung seiner Produkte sieht, schöpft sein Potenzial nicht aus. Vertrauen: Wenn jemand ständig um seinen Arbeitsplatz fürchtet, dann wird er auch nicht kreativ sein. Und Transparenz: also wirklich miteinander zu reden, statt über einander. Wenn man das beherzigt, entsteht Begeisterung bei den Mitarbeitenden – für ihr Unternehmen und für dessen Innovationen.

Uhlmann:

Bei uns am IPK kommt hinzu: Wir benötigen ein breites Grundlagenwissen als Basis für unsere anwendungsorientierte Forschung. Unsere Innovationsstrategie heißt deshalb Allianz. Wir arbeiten sehr eng mit unserem Partnerinstitut an der TU Berlin und der Bundesanstalt für Materialforschung und Prüfung BAM zusammen und transformieren deren Ergebnisse aus Grundlagenprojekten in anwendungsreife Lösungen. Und das in Losgröße 1: Wir verkaufen nicht millionenfach eine Klemme, sondern wir verkaufen eine Technologie ein einziges Mal. Wir haben deshalb eine große Varianz an Kompetenzen und Methoden sowie eine hohe Interdisziplinarität, um nicht nur Einzelkomponenten, sondern Gesamtsysteme anbieten zu können.

 

futur: Eine im Mai erschienene McKinsey-Umfrage unter Mittelständlern hat ergeben: Je höher die Anstrengungen  /  Investitionen der Unternehmen in Digitalisierung desto besser schätzen sie ihre eigene Umsatzprognose ein. In welchem Bereich sehen Sie aktuell das größte Potenzial bzw. den größten Bedarf an Digitalisierungslösungen?

Bent: 

Neben den Wertschöpfungsprozessen sind das vor allem die administrativen Prozesse. Wir haben heute fast in allen Unternehmen mehr oder weniger gut integrierte ERP-Systeme, aber ansonsten einen niedrigen Automatisierungsgrad in der Administration. Das gleiche gilt für die Produktentwicklung sowie Marketing- und Vertriebsbereiche. Momentan treiben uns auch sehr stark die großen gesellschaftlichen Probleme. Nehmen Sie die Sustainable Development Goals der UN. Die Lösungen, die man für diese Herausforderungen braucht, sind sehr stark technischer Natur. Eine Energiewende, eine Mobilitätswende wird ohne Digitalisierung nicht gelingen. In der Corona-Krise lernen wir gerade, wie Digitalisierung auch helfen kann, unsere Unternehmen und unsere Wertschöpfungsketten resilienter zu machen. Angefangen beim Home-Office bis hin zur Möglichkeit, Produktion wieder in Hochlohnländer zurückzuholen, indem man intelligent automatisiert und dadurch die Fragilität von globalen Wertschöpfungsketten relativiert.

Uhlmann:

Ich denke, wir brauchen vor allem digital durchgängige Wertschöpfungsnetzwerke. Hier können wir an Dynamik gewinnen, auch bei der Integration von KMU als Systemlieferanten. Crowd Production hat als Konzept Potenzial für die digitale Vernetzung einzelner spezialisierter Firmen, die dann als One Face to the Customer agieren. Auch bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle – weg vom Verkauf eines Produkts hin zum Verkauf einer Verfügbarkeit, eines Nutzens – kann Digitalisierung noch mehr unterstützen. Und dann sehe ich großes Potenzial beim Übergang von digital vernetzten Produktionsformen in nachhaltige vollintegrierte Produktionssystemwelten. Das ist eine Riesenherausforderung, die nur mit modularer Digitalisierung zu bewältigen ist.

 

futur: Die aktuellen Wirtschaftszahlen zeigen, dass die Branchen besonders hart von der aktuellen Krise betroffen sind, deren internationale Lieferketten aufgrund der Epidemie zusammengebrochen sind. Welche Auswirkungen hat das Ihrer Meinung nach für die künftige Organisation der Produktion? Werden gesamte Wertschöpfungsketten näher an die Absatzmärkte rücken?

Bent:

Ich glaube das, ja. Solche Effekte werden als Learnings aus der Krise eintreten. Das ist kein Argument gegen Globalisierung, sondern eine sinnhafte Reaktion auf das, was wir gerade erleben. Wir selbst verfolgen ein Local-for-Local-Konzept. Das heißt, wir ziehen an den Standorten, an denen wir produzieren, die Wertschöpfungsketten zusammen. Das geht nicht immer, das ist auch nicht immer sinnvoll, aber wenn, dann führt es zu wesentlich robusteren Systemen. Die Digitalisierung gibt uns hier neue Möglichkeiten, die Effizienz unserer Produktionsstätten und Wertschöpfungsketten zu erhöhen, um eine stärkere lokale Autonomie auch wirtschaftlich umzusetzen.

Uhlmann:

Lokale Netzwerke werden auch in unserer Region sehr stark forciert. Es geht ja heute nicht mehr nur um Qualität, Zeit und Kosten bei der Bewertung von Lieferketten, sondern um Dynamik und Flexibilität in der Zusammenarbeit. Gleichwohl werden die internationalen Netzwerke Bestand haben. Die Frage der Resilienz von Produktion ist gerade auch deshalb aktuell. Wie können wir schnell auf unerwartete Veränderungen reagieren, um unsere Produktionssysteme stabil zu halten? Dafür brauchen wir Lösungen. Fraunhofer hat deshalb das Thema Resilienzforschung etabliert. Wandlungsfähigkeit und -geschwindigkeit, Robustheit, Sicherheit, Vorhersagbarkeit sind die Aspekte, die wir hier untersuchen.

 

futur: Wie wichtig ist es, nicht nur in der Fertigung, sondern auch in Forschung und Entwicklung international aufgestellt zu sein?
Bent:

Das ist extrem wichtig, auch für kleine und mittelständisch geprägte Unternehmen, wie wir das waren, als wir erste lokale Innovationsteams in den USA und China aufgebaut haben. Heute sind dort Teams von jeweils mehr als 100 Entwicklungsexperten aktiv. Es gehört einfach zu einer Globalisierungsstrategie dazu, vor Ort zu sein. Wir haben eine extrem hohe Konvergenz von Technologie und Wissen, und trotzdem sind die Anforderungen an Technologien in den Weltmarktregionen unterschiedlich ausgeprägt. Das können wirtschaftliche Gründe sein, andere Normen und Standards, das sind vor allem aber auch kulturelle Aspekte. Die Bedürfnisse eines Kunden erkennen und die Relevanz seines Problems verstehen, das funktioniert nicht über eine Distanz von 10.000 Kilometern. Und das funktioniert nicht mit dem deutschen Ingenieurverständnis, wenn es um Themen in Indien, China oder den USA geht. Deshalb engagieren wir uns nicht nur in der Produktion, sondern auch in der Forschung international.

Uhlmann:

Die deutsche Wirtschaft ist sehr exportorientiert und auch als FuE-Dienstleister müssen wir dort sein, wo unsere Kunden sind. Für unser internationales Engagement gibt es klare Voraussetzungen: wissenschaftliche Wertschöpfung für unser Institut einerseits und positive Effekte sowohl für Deutschland als auch das jeweilige Partnerland anderseits. In São José dos Campos arbeiten wir zum Beispiel mit einer der top Engineering Universitäten Brasiliens sowie deutschen und brasilianischen Unternehmen verschiedener Branchen zusammen und unterstützen SENAI, den brasilianischen nationalen Dienst für industrielle Ausbildung bei der strategischen Planung und landesweiten Implementierung von Forschungsinstituten.

 

futur: Welche Empfehlung geben Sie anderen Unternehmen wie Ihnen selbst, aber auch Mittelständlern, mit denen Sie zusammenarbeiten bis hin zu Start-ups, um im internationalen Wettbewerb in Zukunft die Nase vorn zu haben?

Bent: 

Denken Sie visionär. Denken Sie an zukünftige Möglichkeiten und überlegen Sie, was nötig ist, um diese Ziele zu erreichen. Damit können Sie auch scheinbare Grenzen überwinden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir sind heute einer der führenden Anbieter von Ladesteckersystemen für Elektromobilität. Vor zehn Jahren war E-Mobility fast nur ein Thema für Freaks. Wir haben uns damals entschieden, auf dieses Pferd zu setzen, weil wir bestimmte Annahmen und technologische Erkenntnisse hatten, weil wir auch gesagt haben, wir können das. Heute ist das ein sehr erfolgreiches Geschäftsfeld für uns mit mehr als 300 Mitarbeitenden und einem Millionenumsatz im oberen zweistelligen Bereich. Das hätte auch schief gehen können. Aber wenn man nicht bereit ist, solche Risiken einzugehen, dann kommt man nicht über die normale inkrementelle Entwicklung eines Unternehmens hinaus. Ich glaube, wir müssen gerade jetzt auch den Mut haben, Unternehmen sprunghaft weiterzuentwickeln.

Uhlmann:

In Punkto Geschäftsmodelle muss ein Umdenken erfolgen. Vor allem Mittelständler werden nicht überleben, wenn sie wie bisher einzelne Komponenten in möglichst großen Stückzahlen verkaufen. Wir erleben ja vielfach heute schon, dass nicht mehr ein Produkt verkauft wird, sondern eine Funktion. Und Unternehmen müssen sich öffnen, eine Kooperationsfähigkeit entwickeln, um gemeinsam mit anderen Systemangebote zu entwickeln. Das ist meine Empfehlung für KMU ebenso wie für Start-ups. Gehen Sie strategische Allianzen ein, um langfristig wettbewerbsfähig zu sein.

Roland Bent

© Phoenix Contact

ist seit 1984 bei Phoenix Contact in Blomberg tätig. Als CTO und Mitglied
der Geschäftsführung ist er für Marketing und Produktentwicklung sowie Innovations- und Technologiemanagement zuständig.

Eckart Uhlmann

ist Institutsleiter des Fraunhofer IPK und Universitätsprofessor für das Fachgebiet Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik am IWF der Technischen Universität Berlin.

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