Knochenarbeit

Im Projekt mobiLAB-4D erforschen unsere Gesprächspartner gemeinsam, wie die Oberflächen von Implantaten verbessert werden können, um klinische Komplikationen zu vermeiden. Dabei setzen sie modernste In-vitro-Methoden, Mikroproduktionstechnologien und bildgebende Verfahren ein. Wie die komplexe Zusammenarbeit gelingt und ob sogenannte Organ-on-a-Chip-Technologien künftig Tierversuche ersetzen könnten, erörtern die drei im Expertengespräch.

PROJEKTSTECKBRIEF MOBILAB-4D:
 

Komplikationen nach dem Einsetzen von Zahn-, Hüft- oder Knieimplantaten sind sehr belastend für die Betroffenen und können zu erneuten Operationen führen. Ziel des Projekts mobiLAB-4D ist es deshalb, solche Komplikationen zu reduzieren:

  • Freisetzung von Nanopartikeln: Das metallische Implantat soll möglichst wenig Material in das umliegende Gewebe abgeben.
  • Toxische Effekte: Die freigesetzten Partikel sollen nicht giftig sein.
  • Probleme bei der Osseointegration: Das Implantat soll sich möglichst gut in den bestehenden Knochen integrieren.
  • Periimplantitis: Entzündungen des umliegenden Gewebes durch eindringende Keime sollen verhindert werden.

Diese Probleme sollen durch die Optimierung der Oberflächenstruktur und des Materials der Implantate vermieden werden. Die Projektpartner untersuchen deshalb, welche Implantatoberflächen und -materialien sich besonders gut für den Einsatz im menschlichen Körper eignen.

futur: Herr Dr. Schoon, wie hat sich die Forschung zu orthopädischen Materialien durch die jüngsten Durchbrüche in der Mikrofluidik verändert?

Schoon:

Vor allem die präklinische Testung von Implantatmaterialien verändert sich derzeit. Unser Ziel ist es, in humanen In-vitro-Modellen zukünftig bessere Vorhersagen bezüglich Reaktionen wie dem Knocheneinwachsen von Implantatmaterialien treffen zu können als im Tiermodell. Damit soll sich die Patientensicherheit weiter verbessern. 

futur: Herr Schweitzer, was macht aus produktionstechnischer Sicht die Arbeit mit den Patientenproben und den gewonnenen mikrofluidischen Chips zu einer Herausforderung?

Schweitzer:

Die Herausforderung ist es, den sicheren Transport zu gewährleisten. Wir müssen die Zellen vor Ort für die 4D-Messung im Synchrotron in einer nicht trivialen Umgebung genauso gut kultivieren können wie im Labor. Dazu müssen wir die Temperaturen, die CO2-Sättigung und alle anderen Parameter, die für das Zellenwachstum wichtig sind, immer stabil halten. Außerdem müssen wir die die Sterilität der Chipsysteme immer gewährleisten, auch beim Transport. 

futur: Um die Proben für die Messung im Synchrotron fit zu machen, wird also eine ganze Menge Aufwand betrieben. Herr Dr. Hesse, welche Vorteile bietet die 4D-Mikrotomografie im Synchrotron im Vergleich zu anderen bildgebenden Verfahren?

Hesse: 

Im Synchrotron wird bis zu einhundert Milliarden Mal mehr Strahlung erzeugt als im Labor. Mit dieser extrem hohen Röntgenintensität lässt sich eine verbesserte Bildgebung ermöglichen. Synchrotron- Strahlung ist außerdem eine kohärente Strahlung. Das heißt, dass man einen höheren Kontrast für verschiedene Materialphasen hat. Knochen ist ein dynamisches Material, bei dem es wichtig ist, feinste Unterschiede in der Mineralisierung in 3D bestimmen zu können. In der Kombination ist das Synchrotron-CT relativ konkurrenzlos. Durch die immer wieder verbesserte Hardware lässt sich die Bildgebung auch in so kurzen und stabilen Abläufen durchführen, dass wir die Proben zeitaufgelöst, also zu mehreren verschiedenen Zeitpunkten, untersuchen können. Die Schwierigkeit bei unserer Fragestellung sind die besonders langen Zeitabläufe. Die Umbaukinetik von Knochen liegt im Bereich der Tage, Wochen, teilweise sogar Monate. Wir brauchen also ein System, dasüber so lange Zeit stabil ist.

Schoon:

Das entwickelte Verfahren ist auch auf andere Anwendungen von längerer Dauer übertragbar, zum Beispiel auf den biologischen Abbau von Materialien oder auch Korrosionsprozesse. 

© ESRF / J. CHAVY.
Die European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble

futur: Verbleiben die Proben dann solange im Synchrotron oder nehmen Sie die zwischenzeitlich wieder heraus und bringen sie dann zurück?

Hesse: 

Die Untersuchung im Röntgenstrahl dauert jeweils nur wenige Minuten. Im Anschluss werden die Proben für ein paar Tage in den Laboren vor Ort weiter kultiviert. Deshalb ist die mobile Mess- und Transporteinheit, die am Fraunhofer IPK entwickelt wird, so wesentlich. Damit können wir die Chipsysteme, die jetzt aktuell in der Charité oder auch in Greifswald stehen, transportabel machen, sodass wir sie über Wochen am Synchrotron in Grenoble oder Paris, wo wir meistens arbeiten, weiter kultivieren können.

Schweitzer: 

Nach jeder Messung müssen die Proben über eine sterile Schleuse wieder zum Organ-on-a-Chip, so dass sie dort weiter kultiviert werden können. Sollte es dabei ein Problem geben, wenn zum Beispiel Bakterien oder Mikroorganismen eindringen, müssen wir die Untersuchungen abbrechen. Deswegen müssen wir gewährleisten, dass immer alles steril bleibt, sowohl die Messkammer als auch die Chips.

futur: Das Konsortium Ihres gemeinsamen Forschungsprojektes ist interdisziplinär aufgestellt, mit Spezialisten aus so unterschiedlichen Feldern wie medizinischer Forschung, Strahlenphysik und Produktionstechnik. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?

Schoon:

Zunächst einmal kann man durch die Zusammenarbeit mit Experten aus anderen Bereichen selber etwas lernen. Ich war 2018 das erste Mal mit Dr. Hesse in einer Synchrotron-Einrichtung in Grenoble. Dazu hätten wir ohne den Experten, den Physiker, keinen direkten Zugang. Nur mithilfe dieser Technologie können wir aber unsere Fragen auf relevante Weise beantworten. Deswegen ist diese Verknüpfung extrem wichtig.

Hesse:

Die Zusammenarbeit für mobiLAB-4D wurde von Luiz Schweitzer initiiert, der relativ früh erkannt hat, was wir zusammen leisten können. Für unsere Forschung ist es essentiell, die bestehenden Lab-ona-Chip-Systeme synchrotronkompatibel zu machen. Genauso wichtig, wie das Verständnis und die Auswertung von Synchrotron-CTs und die Handhabung der Zellproben. Diese Interdisziplinarität ist entscheidend.

Schweitzer: 

Durch dieses Projekt sind uns auch schon viele Ideen gekommen, wie wir zusammen an anderen klinischen Fragestellungen weiterarbeiten wollen, zum Beispiel an degradierbaren Implantatwerkstoffen. Durch den Input aus der klinischen Praxis an der Uni Greifswald können wir uns auf die Fragestellungen fokussieren, die für die Anwendung in der Medizin wirklich wichtig sind.

futur: Sie sprechen von der praktischen Anwendung der Ergebnisse Ihrer Forschung in der klinischen Gesundheitsversorgung – das ist der Kerngedanke der Translationalen Medizin. Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Erkenntnisse auch tatsächlich Menschen helfen?

Schoon:

Die erzielten Ergebnisse wollen wir über Patentanmeldungen in ein Produkt bringen, zum Beispiel eine Implantatkomponente. Gemeinsam mit Medizinprodukteherstellern können wir dieses optimierte Produkt dann auf den Markt bringen, um Infektionsraten zu minimieren oder das Einwachsverhalten der Implantate zu verbessern. So profitieren Patienten langfristig von unserer Forschung. Ein weiterer translationaler Aspekt ist die präklinische Methode: Wenn wir etwa auf fünf unterschiedliche Arten die Implantatoberfläche verändern und in unseren Experimenten sehen, dass bei vier davon viel Aluminium aus dem Implantat freigesetzt wird, vermeiden wir durch unsere Analysen, dass wir damit in die präklinische Phase oder sogar in eine klinische Studie gehen.

futur: Ohne die Organ-on-a-Chip-Systeme müssten Sie Ihre Untersuchungen an Tieren durchführen. In Ihrem Beispiel würden für die Bewertung jeder dieser unterschiedlichen Implantatoberflächen mehrere Mäuse herangezogen. Werden wir solche Tierversuche bald schon komplett hinter uns lassen können?

Schoon:

Ich bin der Meinung, dass wir Tierversuche nicht ganz hinter uns lassen werden. Wir werden aber mehr aussortieren können, bevor wir überhaupt inn die tierexperimentellen Studien gehen. Tierversuche werden dann nur noch angewendet, wenn das entwickelte Produkt oder das entwickelte Arzneimittel ein großes Potenzial hat, in die klinische Phase zu gehen. Das größte Potenzial bei solchen 3D-Kulturen und Chipmodellen ist, dass wir hier im Humankontext arbeiten.

Ein Beispiel: Das Chipsystem, das wir im Rahmen des Konsortiums verwenden, enthält Immunzellen aus dem Knochenmark. Die Immunsysteme einer steril gehaltenen Maus und eines Menschen sind sehr unterschiedlich. Wir haben es mit Zellen von immunerfahrenen Patienten zu tun. Wenn wir mehrere Chipsysteme mit Proben mehrerer Spender ausstatten, haben wir auch welche dabei, die vielleicht schon bestimmten Metallen gegenüber sensibilisiert sind, die in der Orthopädie verwendet werden. Nur so können wir ein realistisches Szenario für Immunreaktionen abbilden. Es gibt zum Beispiel keine Mausstämme, die spezifische Immunreaktionen auf Kobalt zeigen. Die Zellen verschiedener Spender bilden die Realität der Patientenvariabilität ab, und gerade diese patientenindividuellen Unterschiede sind entscheidend. 

Schweitzer:

Durch die In-vitro-Methode wird auch die zeitaufgelöste Messung ein- und derselben Probe überhaupt erst möglich. Im In-vivo-Modell müsste man zur Untersuchung der Proben die Tiere töten. Auf dem Organ-on-a-Chip dagegen können wir die Zellen zwischen den einzelnen Messungen im CT weiter kultivieren. Das ist die große Besonderheit dieses Projekts, das die Relevanz der Invitro-Methode in Zukunft deutlich erweitern könnte.

Hesse:

Mit Organ-on-a-Chip-Systemen können wir auch Forschende aus anderen Disziplinen einbeziehen. Viele Experten haben gar nicht die Infrastruktur, um an Tiermodellen zu arbeiten. Ich selbst habe keine Ausbildung, um an Mäusen Experimente zu machen. Und zuletzt gibt es auch noch ein monetäres Argument: Es ist preislich günstiger für Pharma- oder Implantathersteller, solche Vorversuche an Chips zu machen. So können sie die sehr teuren präklinischen Experimente nur noch an denjenigen Kandidaten machen, die auch wirklich vielversprechend sind.

 

Glossar - Expertengespräch

Bernhard Hesse

CEO der XPLORAYTION GmbH

führt die zeitaufgelösten μCT-Messungen am Synchrotron durch und wertet die Messergebnisse

 

Dr. Janosch Schoon

Forscher an der Orthopädie der Universitätsmedizin Greifswald in der Forschungsabteilung Human Cells and Orthopedic Materials

kultiviert aus Patientenproben menschliche Knochenzellen. Diese werden auf mikrofluidische Chips übertragen, um die Interaktion des Gewebes mit Implantaten mit unterschiedlichen lasertexturierten Oberflächenstrukturen und Materialien zu untersuchen.

Luiz G. De Souza Schweitzer

Forscher und Key Account Manager Medizintechnik am Anwendungszentrum Mikroproduktionstechnik am Fraunhofer IPK

entwickelt eine Mess- und Transporteinheit, in der die Zellproben sicher und steril zur Messung am Synchrotron überführt werden und vor Ort über mehrere Wochen weiter kultiviert werden können.