Auf eigene Faust

In einem Auto sind Tausende Teile mit verschiedensten Geometrien verbaut. Die filigrane Montage können bald auch Roboter übernehmen, und das flexibel und autonom.

Die vollautomatische Montage ganzer Baugruppen ist im Fahrzeugbau längst Realität. Allerdings sind die eingesetzten Anlagen oft nur auf wenige oder sogar einzelne Aufgaben spezialisiert. Die Folge sind statische Fertigungsstraßen, die so gar nicht zu den aktuellen Anforderungen an Montagesysteme passen. In immer schnellerer Abfolge verändern sich nämlich Produkte und Märkte. Flexible Systeme müssen her, mit hoher Mobilität, Anpassungsfähigkeit und Modularität. Dieser Paradigmenwechsel ist nicht nur eine große Herausforderung für Automobilhersteller, sondern auch ein spannendes Entwicklungsfeld mit hohem Innovationspotenzial. Zusammen mit Volkswagen Nutzfahrzeuge haben Forschende am Fraunhofer IPK eine Konzeptanlage zur Erprobung von Flexibilitätsansätzen in der Montage entwickelt. Die Montage von Innenverkleidungsteilen eines Fahrzeugs, bislang ein vollständig manueller Prozess, soll in Zukunft automatisiert ablaufen und als Beleg für das Potenzial autonomer Montagetechnologien dienen.

Statische Lösungen sind passé

Ein Flexibilitätsaspekt, der dem Industriepartner besonders wichtig war, ist die Ortsungebundenheit der Lösungen. Das Robotersystem »Tend-O-Bot« wurde bereits für verschiedenste Anwendungen von Maschinenbeladung bis Mensch-Roboter-Kollaborationen eingesetzt. Es besteht aus einer mobilen Plattform mit integriertem Roboterarm und ist dank modernen Kartierungs- und Lokalisierungsalgorithmen in der Lage, selbstständig durch die Produktionsstätte zu navigieren. Zusätzliche Sensoren an Bord gewährleisten, dass das Roboterfahrzeug flexibel auf auftauchende Hindernisse reagieren und Kollisionen vermeiden kann. Aufbauend auf dieser Technik kann es zudem montagerelevante Ziele, in diesem Fall die Fahrzeugkarosserie, zuverlässig erkennen und lokalisieren. Auf Basis der optischen Bewertung der Montagesituation kann das System sogar ermitteln, welche Montageschritte bereits durchgeführt wurden und welche noch zu erledigen sind. 

Nachdem er die Karosserie detektiert hat und an die richtige Position gefahren ist, muss der Tend-O-Bot die Montageumgebung genau erfassen. In einem mehrstufigen Positionierungsverfahren – von grob nach fein – schätzt das System die Lage seines Ziels zunächst auf Basis von KI-Modellen und verfeinert diese durch herkömmliche Sensorverarbeitung im Nahbereich für ein genaues Ergebnis. So kann der mobile Manipulator die notwendigen Montagepositionen später millimetergenau eigenständig und flexibel anfahren.

© Fraunhofer IPK/Larissa Klassen
Die Montage der zahlreichen Bauteile moderner Fahrzeuge erfordert Fingerspitzengefühl. Mit innovativer Sensorik und Aktorik sind künftig auch Roboter dazu in der Lage.

Fingerspitzengefühl mit Roboterhand

Nun kann der eigentliche Montageprozess beginnen. Die Aufgabe für den Roboter besteht darin, eine feine Spange an der Rückseite des zu montierenden Bauteils in einen Montagepunkt zu klipsen – bisher ein manueller Prozess, der ein hohes Maß an taktiler Feinfühligkeit erfordert. Aus den Anforderungen des Industriepartners folgt aber, dass die eingesetzte Greiftechnik auch über diese Beispielaufgabe hinaus eine Vielzahl von Bauteilen mit unterschiedlicher Geometrie handhaben können muss. Das Entwicklerteam setzt daher auf den Einsatz eines unterdruckbasierten und formflexiblen Greifers, dessen Systeme in die Steuerung der Plattform integriert sind, um das zu montierende Bauteil anzuheben. Der weiche Greifer passt seine Form an unterschiedliche Geometrien an und ermöglicht so die Montage verschiedenster Komponenten.

Kritisch beim Klipsprozess: Bereits kleinste räumliche Abweichungen führen zwangsläufig zu einem Misserfolg der Montage und potenziell zu Schäden an der Karosserie. Dieser Umstand sorgt für höchste Anforderungen an Messgenauigkeit und Überwachung des Montageprozesses. Menschliche Werkerinnen und Werker können sich dabei auf ihre Sinne stützen, insbesondere auf haptische Empfindungen und akustische Signale. Was beim Menschen funktioniert, nimmt sich das Projektteam als Vorbild und bewertet in einem innovativen Verfahren den Klipsprozess basierend auf sensorischem Feedback.

Komplexes Zusammenspiel moderner Technik

Wenn viele verschiedene Hardwarekomponenten zusammenkommen, ist das Potenzial für Fehler und Schnittstellenschwierigkeiten hoch. Die kabellose Kommunikation über 5G sowie die Energieversorgung an Bord des Tend-O-Bot stellen zusätzliche Herausforderungen für die mobile Lösung dar. Um den hohen Anforderungen gerecht zu werden, ist die eingesetzte Software skalierbar und modular aufgebaut. Einzelne Module können zwischen dem Onboardcomputer des Roboters und externen Cloudcomputern verschoben werden: ideal für die Abstimmung zwischen Signallaufzeiten, Energiebedarf und Ausnutzung der verfügbaren Rechenressourcen. Die verteilte Entwicklung lässt außerdem großen Spielraum, um die Lösung in Zukunft funktionell zu erweitern.

Robotik, Netzwerktechnik, Bildverarbeitung und KI eng zu integrieren hat sich im Projekt mit Volkswagen Nutzfahrzeuge als Schlüssel zum Erfolg erwiesen. An diesem realen Beispiel können Automobilhersteller ableiten, wie zukünftig auch komplexe Montageaufgaben automatisiert und autonom ablaufen könnten. 

© Fraunhofer IPK/Larissa Klassen
Karosserie und Montagepunkte werden zunächst millimetergenau erfasst, damit anschließend auch die zu montierenden Bauteile exakt positioniert werden können.