Interview mit Sven Hamann, Geschäftsführer Bosch Connected Industry
Künstliche Intelligenz gilt als Schlüsseltechnologie für industrielle Anwendungen. Welchen konkreten Nutzen produzierende Unternehmen davon haben, erklärt Sven Hamann, Geschäftsführer Bosch Connected Industry im Gespräch mit FUTUR.
futur: Eine deutschlandweite Umfrage von Bosch zeigt, dass KI als Schlüsseltechnologie für industrielle Anwendungen großen Zuspruch findet. Welche Hoffnungen verbinden die Menschen damit?
Hamann:
Wir spüren in der Tat, dass der industrielle Einsatz von KI momentan viel Rückenwind hat. Die Neugierde, die Offenheit KI auszuprobieren, ist sehr groß. Viele erhoffen sich davon mehr Effizienz, bessere Arbeitsergebnisse oder eine höhere Sicherheit beim Betrieb von Anlagen. Andere sehen in der Technologie einen Komplexitätstreiber und haben Sorge wegen eines Kontrollverlusts. Deshalb bin ich überzeugt, dass KI sich über den Nutzen beweisen muss. Wir erleben es bei Produkten im Consumer-Bereich: Hier hat KI inzwischen einen Reifegrad erreicht, der einen hohen Nutzen stiftet und wo ich als Anwender eher eine Komplexitätsreduzierung erfahre, zum Beispiel bei der Spracherkennung. Ich glaube, dass KI auch in der industriellen Produktion sehr an Dynamik gewinnen wird. Wir sehen jetzt in unseren Werken, in denen wir sehr früh KI-Lösungen in konkrete Use Cases eingebunden haben, dass wir ein enormes Potenzial heben können. Da sprechen wir über Einsparungen von mehreren Millionen Euro pro Werk. Das sind Hebel, die die Einführung von KI in Unternehmen extrem beschleunigen werden.
futur: Welche KI-Anwendungen sind bei Bosch bereits konkret in der Anwendung?
Hamann:
In der Fertigung nutzen wir KI schon an einigen Stellen. Das klassische Beispiel ist sicherlich die vorausschauende Wartung. Dort wird der aktuelle Maschinenzustand auf Basis von Sensordaten überwacht. Wir erkennen anhand der Daten Störungen noch bevor es zu einem Produktionsstillstand kommt. Durch die Analyse von Daten aus unseren Fertigungsprozessen können wir neues Wissen über die Produktionsprozesse gewinnen. Dieses nutzen wir zur Optimierung von Fertigungsparametern oder Zykluszeiten. Auch in der Intralogistik setzen wir KI ein. In einem Piloten optimieren wir gerade die Materialversorgung dynamisch im Betrieb und passen sie damit permanent an die aktuellen Gegebenheiten an.
futur: Trotz vieler Vorteile tun Unternehmen sich oft noch schwer, KI-Technologien einzusetzen. Worin liegen aus Ihrer Sicht die größten Hemmnisse?
Hamann:
Ein Hemmnis ist tatsächlich der Digitalisierungsgrad selbst, der noch sehr unterschiedlich in den verschiedenen Branchen und Firmen ausgeprägt ist. Da geht es im allerersten Schritt um die Verfügbarkeit von Daten über den ganzen Lebenszyklus eines Produkts hinweg, d. h. beginnend mit dem Produktentstehungsprozess, der Konstruktion, Entwicklung über die Produktion bis hin zum Betrieb. Diese Daten müssen in derartiger Form aufbereitet werden, dass sie Bedeutung bekommen. Wenn sie zum Beispiel durch semantische Datenstrukturen angereichert werden, können Unternehmen Potenziale in zwei Richtungen erschließen. Zum einen kann ich über das Feedback Loop die nächste Produktgeneration optimieren oder Produkte an ein bestimmtes Nutzerverhalten anpassen. Das Zweite ist das Erschließen von Geschäftsmodellen. Das ist die Basis. Vorher ist es ganz schwierig, Methoden wie KI zu nutzen. Diese Basisarbeit ist in den Unternehmen unterschiedlich weit fortgeschritten.
Ein weiteres Hemmnis ist die Verfügbarkeit von Kompetenz. Künstliche Intelligenz bringt wie gesagt ein sehr hohes Potenzial mit sich. Ihr Nutzen entsteht aber erst in der Domäne. Das heißt, Unternehmen müssen Domänen-Experten wie Materialwissenschaftlerinnen oder Produktionstechniker mit KI-Expertinnen zusammenbringen. Diese digitale Transformation auch wirklich als Transformationsprojekt zu begreifen, halte ich für einen Schlüssel. Es fängt damit an, dass ich Transparenz schaffe – über die Ziele, die ich verfolge, über die Planung und Umsetzung – und dass ich Mitarbeitenden die Möglichkeit gebe, sich zu engagieren, mitzugestalten und sich weiterzuentwickeln. Stichwort: Lebenslanges Lernen.