Smart recyceln dank Software

Je komplexer ein Produkt, desto anspruchsvoller die Wiederverwertung der Komponenten. Der CE-Assistent des Fraunhofer IPK findet die jeweils optimale Strategie.

Lithium, Kupfer, seltene Erden – um Rohstoffe wie diese herrscht ein harter globaler Wettbewerb, in dem Industrieunternehmen fieberhaft nach resilienten Lieferketten streben. Dazu gehört auch die Wiedergewinnung von Materialien aus Produkten, die ausgedient haben. Eine der Herausforderungen dabei: Zu zahlreichen Komponenten fehlen die wesentlichen Informationen. Welche Rohstoffe sind in welcher Menge enthalten? Welche Arbeitsschritte sind notwendig, um sie voneinander zu trennen? Was kann wiedergewonnen, was muss sachgerecht entsorgt werden? Welche Maschinen sind erforderlich und wo stehen sie bereit? Im Rahmen des Projekts »Catena-X« entwickelt das Fraunhofer IPK gemeinsam mit Partnern eine Software, die Antworten auf all diese Fragen zulässt. Sie trägt den Namen CE-Assistent (CE = Circular Economy, Kreislaufwirtschaft) und wird Verwertern helfen, die jeweils geeignete Strategie zu definieren.

© LRP Autorecycling Leipzig

Digitaler Zwilling speichert Produkt-DNA


Die Basis dafür sind Daten, die über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts erhoben werden. Das bedeutet zunächst: Schon während der Entwicklung speichern die Hersteller beispielsweise Informationen darüber, woraus sich ein Gegenstand zusammensetzt, woher die Rohstoffe stammen, welche Stückzahl geplant ist und welche Recyclingquoten angestrebt werden. Auf diese Weise entsteht ein virtuelles Abbild des realen Produkts, ein Digitaler Zwilling, der den Soll-Zustand 1:1 widerspiegelt. Außerdem erhält jedes einzelne Exemplar einer Produktlinie eine Identifikationsnummer. Die Daten werden somit instanzspezifisch und der CE-Assistent kann sie am End of Life (EoL) zweifelsfrei zuordnen.

„Lebensgeschichte“ im digitalen Schatten

Genau wie menschliche eineiige Zwillinge entwickeln sich der Digitale Zwilling und das reale Produkt allerdings im Laufe ihres Lebens auseinander. Ein ausgemusterter Gebrauchtwagen beispielsweise enthält nach zahlreichen Reparaturen sehr wahrscheinlich nicht mehr nur Originalteile. Zudem altern Komponenten unterschiedlich schnell, abhängig von der Nutzung und den äußeren Bedingungen. Das macht viele Produkte am EoL für den verwertenden Betrieb zur Black Box. Die Lösung besteht darin, den Digitalen Zwilling um einen Digitalen Schatten zu ergänzen. Darunter fallen alle Veränderungen, die dem Produkt in den Händen der Nutzerin oder des Nutzers widerfahren. Zu diesem Zweck muss der CE-Assistent beispielsweise auf Informationen möglichst aller Hersteller zurückgreifen können, die Ersatzteile liefern könnten. Das klingt ehrgeizig. Dank Catena-X wird ein solch umfassender »Produkt-Reisepass « aber bereits zur Realität – vorerst für die automobile Wertschöpfungskette.

Kriterien für den Softwarestandard

Damit der CE-Assistent die Kreislaufwirtschaft unterstützt wie gewünscht, haben die Forschenden des Fraunhofer IPK bestimmte Kriterien integriert. Die Empfehlung, Komponenten wiederzuverwenden, aufzubereiten, zu recyceln oder zu entsorgen, leitet sich unter anderem daraus ab, welche Gesetze und Bestimmungen gelten, ob es Schadstoffe zu berücksichtigen gilt und ob die Bauteile grundsätzlich kreislauffähig sind. Sicherheitsrelevante Komponenten wie Airbags dürfen beispielsweise nicht wiederverwendet werden. Außerdem berücksichtigt der CE-Assistent den Kilometerstand, die Funktionstüchtigkeit und die mutmaßliche Restlebensdauer. Eine weitere Grundlage für die Kreislaufstrategie, die der CE-Assistent empfiehlt, sind die zu erwartenden Umweltauswirkungen gemäß ISONorm 14044. Und nicht zuletzt berechnet die Software unter anderem den potenziellen Beitrag einer jeden CE-Strategie zum CO2-Fußabdruck. Der Assistent wird also beispielsweise ermitteln, ob ein Bauteil tatsächlich noch aufbereitet werden sollte. Unter Umständen könnte es für den Klimaschutz besser sein, ein baugleiches Ersatzteil herzustellen, als die Komponente in einen Spezialbetrieb zu transportieren.

Zusammenarbeiten und lernen

Die standardisierte Logik, der die Software folgt, macht Entscheidungsprozesse reproduzierbar. Der Vorteil besteht darin, sie auf Produkte anderer Unternehmen übertragen zu können. Zu diesem Zweck übermittelt der CE-Assistent seine Ergebnisse, Empfehlungen und Rechenwege an Catena-X. Darüber hinaus können die Partnerunternehmen aus den Erfahrungen lernen, die der CE-Assistent teilt. Angenommen, am EoL eines Fahrzeugs stellt sich heraus, dass sich Steckverbindungen schwer lösen lassen. Dann können die Hersteller ihre Zulieferer beauftragen, das Design zu optimieren. Durch dieses Feedback-to-Design wird die neue Produktgeneration langlebiger, reparaturfreundlicher und kreislauffähiger. Das reduziert den Bedarf an Primärmaterialien und trägt zur Nachhaltigkeit bei.

Catena-X

Die Wertschöpfung rund um Fahrzeuge soll nachhaltiger und klimafreundlicher werden – mit diesem Ziel haben sich 28 namhafte Forschungsinstitutionen, Fahrzeughersteller, Zulieferer und weitere Unternehmen unter dem Dach von Catena-X zu einem Entwicklungskonsortium zusammengeschlossen. Catena-X wird es ermöglichen, Daten entlang der automobilen Wertschöpfungskette unternehmensübergreifend auszutauschen. Dabei behalten die Beteiligten die volle Kontrolle über ihre Daten und entscheiden, wer zu welchem Zeitpunkt zugreifen kann.

Zum Konsortium zählen neben der Fraunhofer-Gesellschaft beispielsweise Siemens, Bosch, BASF und Henkel. Für den CE-Assistenten, der im Rahmen von Catena-X entwickelt wird, kooperiert das Fraunhofer IPK mit LRP Autorecycling Leipzig, BMW, SAP und tec4U. In Zukunft wollen die Forschenden die Software für weitere Branche öffnen.

Weitere Infomationen zu Catena-X finden Sie auf unserer Projektreferenzseite.