Hybride Überflieger

Die Zukunft der Mobilität ist (hybrid)elektrisch – auch im Luftfahrtsektor. Für die damit einhergehenden Anforderungen müssen jetzt die digitalen Weichen gestellt werden.

© Rolls-Royce plc
Mit Leistungen im Megawattbereich ist PGS1 das zurzeit leistungsfähigste hybrid-elektrische System in der Luftfahrt und könnte ein zukünftiges Regionalflugzeug antreiben.

Weniger Fliegen – so lautet oftmals die Devise, wenn es darum geht, klimaverantwortlich zu handeln. Klar ist, dass der Luftfahrtsektor in die Pflicht genommen werden muss, da Flugreisen aktuell etwa zwei bis drei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen ausmachen. Angesichts unzureichender Alternativen und der großen Bedeutung der Luftfahrtindustrie für die globale Wirtschaft und Mobilität ist ein weitergehender Verzicht auf das Fliegen allerdings keine echte Option. 

Welche anderen Wege CO2 einzusparen gibt es also, sodass weder die Industrie Verluste erleidet, noch Privatpersonen ihre Mobilität einschränken müssen? Für produzierende Unternehmen im Luftfahrsektor lautet die Antwort: Es müssen nachhaltige Alternativen her, inklusive elektrischer oder hybrid-elektrischer Antriebe. Diese Konzepte bringen neue Anforderungen mit sich. Wie lässt sich beispielsweise elektrische Energie effizient speichern und bereitstellen? Und wie lassen sich entsprechende Batteriesysteme integrieren oder ein geräuschärmerer Betrieb durch den Einsatz einer Vielzahl von elektrischen Antrieben herstellen? 

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Das Flugzeug apus i-5 soll zukünftig als fliegender Prüfstand für voll- und hybridelektrische Antriebssyteme genutzt werden.

Digitaler Zwilling für den Antrieb

Ein Forschungsprojekt von Fraunhofer IPK und dem Industriepartner Rolls-Royce Deutschland soll die Weichen für das ressourceneffiziente hybrid-elektrische Fliegen der Zukunft stellen. Zu diesem Zweck entwickelte das Forschungsteam ein lebenszyklusübergreifendes Informationskonzept für den Flugzeugbau und die -produktion als wichtigsten Faktor. Dieses soll die digitale Vernetzung aller Wertschöpfungsschritte ermöglichen, um das neue Antriebskonzept effizient umsetzen zu können. 

Auf Basis der verschiedenen Prozesse der Produktentwicklungsphasen entwarfen die Forschenden ein Prozessmodell, zu dem auch ein Digitaler Zwilling gehört. Dieses erfasst alle Aktivitäten, die Rollen der beteiligten Personen sowie eingesetzte Werkzeuge der Modelle während der einzelnen Prozessphasen bei der Produktion eines Triebwerks. Innerhalb dieser Prozessphasen (Anforderungsmanagement,  Funktionsflussmodellierung, Design und Entwicklung, Sicherheit, Simulation, Produktionsplanung, Fertigung und Qualitätssicherung) werden mögliche Änderungen und Erweiterungen ermittelt und können in den Digitalen Zwilling implementiert werden. Zukünftig soll dieser beispielsweise auch vorhersagen, ob eine geplante Änderung der Produkteigenschaften durchführbar ist.

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Das Power Generation System PGS1 wurde an den Standorten Bristol und Trondheim auf Herz und Nieren getestet.

Vom Plan in die Tat

Doch wie profitieren Unternehmen bei der Umstellung auf hybrid-elektrische Antriebe konkret von dem neu entwickelten Prozessmodell? Heiko Witte, Business Development Consultant Digital bei Rolls-Royce Deutschland erklärt, dass durch die Entwicklung Digitaler Zwillinge vor allem an den Schnittstellen unterschiedlicher Funktionen das Verständnis der Systemabhängigkeiten entscheidend vertieft werden konnte. 

»Das Prozessmodell ist hierbei grundlegend kennen und Schwerpunkte bei Entwicklung und Systembeschreibung setzen zu können. Mithilfe eines cyber-physischen Systems auf Grundlage verschiedener Digitaler Zwillinge wollen wir ein ganzheitliches Systemverständnis erreichen, um den gesamten Lebenszyklus hybrid-elektrischer Triebwerke beschreiben und entsprechende Geschäftsmodelle entwickeln zu können.« Die so gewonnenen Erkenntnisse implementieren Heiko Witte und sein Team bei Rolls-Royce Deutschland derzeit in den Entwicklungszyklus für neuartige hybrid-elektrische Triebwerke, um kostengünstig und vor allem durch schnelle Iterationen zum Entwicklungsziel zu kommen.

Das Projekt ist vor allem ein Meilenstein für eine klimaneutrale Zukunft der Luftfahrt, da es Realdaten über die Umsetzbarkeit der Reduktion von Treibhausgasemissionen bei Antrieben liefern kann. So wurde beispielsweise bei der Tecnam P2010 der Verbrennungsmotor durch den Einsatz eines hybrid-elektrischen Motors für den Antrieb des Flugzeugs deutlich verkleinert: Das 180 PS starke Standardtriebwerk  konnte durch ein kleineres von nur 141 PS  ersetzt werden. Daraus ergibt sich eine potenzielle Senkung des Kraftstoffverbrauchs um bis zu 20 Prozent, was die CO2-Emissionen erheblich reduziert. Wird die neue  Anforderung, wie in diesem Fall die veringerte Nutzung fossiler Brennstoffe, im System erfasst, so können die Auswirkungen auf entscheidende Prozessphasen wie Funktions- und Systemmodellierung simuliert und im Digitalen Zwilling entsprechend ergänzt werden. 

Insgesamt werden elektrische Antriebe die Emissionen im Flugverkehr spürbar verringern, so Heiko Witte: »Hier wird ein Quantensprung erreicht, der mit der Steigerung der Effizienz der Gasturbine allein nicht erzielt werden kann. Da 80 Prozent aller Flüge Kurz- und Mittelstrecken bedienen, werden gerade in diesem Segment die Emissionen drastisch sinken können. Hybrid und batterieelektrische Antriebe sind auf diesen Streckenprofilen ein entscheidender Faktor.« Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell im Sinne einer nachhaltigen und emissionsreduzierten Führung optimieren wollen, können das Analysetool nutzen, um Potenziale in den Produktentstehungsphasen durch Digitale Zwillinge zu identifizieren und umzusetzen.