Der Digital Thread ins Weltall

Im All wettbewerbsfähig bleiben? Das geht nur mit nachhaltigen und wirtschaftlichen Trägerraketen.

Die Verkehrsdichte im All hat seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark zugenommen. Waren es damals noch staatliche Akteure, die mit Trägerraketen den Weltraum eroberten, so sind es heutzutage private Unternehmen, die den Ton angeben – wie etwa Space X von Tesla-Gründer Elon Musk oder Rocket Lab von Peter Beck. So geraten insbesondere europäische Unternehmen durch ein kostenintensiveres und im Wesentlichen institutionell geprägtes Raketenprogramm unter zunehmenden Wettbewerbsdruck, gerade in Bezug auf Nachhaltigkeit. 

 

© ArianeGroup Holding / Master Image

Hinzu kommt, dass die Europäische Raumfahrtagentur ESA, die bisher nur in Kooperation mit der NASA bemannte Flüge ins All vornimmt, nun den Schritt hin zu einem unabhängigen bemannten Zugang zum Weltall wagen will. Nur so kann Europa klimatische und ökologische Themen eigenständig erforschen sowie strategische und militärische Souveränität erlangen. Um diese Interessen zu bedienen, müssen Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Trägerraketen der ESA, welche von der ArianeGroup entwickelt und produziert werden, weiter gestärkt werden. In diesem Zusammenhang müssen nicht nur die gesamten Entwicklungs-, Produktions- und Betriebsphasen von Trägerraketen digitalisiert werden, sondern es bedarf einer durchgängigen und zuverlässigen Informationsstrategie. Dabei gilt es außerdem, die informationsgebenden Systeme aus der Produktentwicklung mit der Produktion und dem Betrieb zu vernetzen. 

 

Digitale Durchgängigkeit

Im Zuge dieser Transformation müssen Mechanismen zur Bewertung der Leistungsfähigkeit informationstragender Systeme entwickelt und eingeführt werden. Weiterhin müssen diese bewusst auf die sich wandelnden Produkt- und Infrastruktursysteme ausgelegt werden. Für die Informations- und Qualitätssicherung sind dabei nicht mehr allein die IT-Systeme entscheidend, sondern auch der gesamte Entwicklungs-, Produktions- und Betriebsprozess. Die betroffenen Systeme können durchgängig digitalisiert und somit übergreifend vernetzt werden. Hierfür wird oftmals der Begriff »Digital Thread« verwendet, der die Kreislaufwirtschaftsstrategien (z.B. prädiktive Wartung, Wiederverwendbarkeit und Recycling) von Trägerraketen wiederum positiv beeinflussen kann. Im Forschungsprojekt »POLAR« untersucht ein Forschungsteam des Fraunhofer IPK gemeinsam mit Mitarbeitenden der ArianeGroup am realen Beispiel der Trägerentwicklung und -produktion in Deutschland, wie gekoppelte informationsgebende Systeme angewendet und verbessert werden können. In einer ganzheitlichen Betrachtung der Wertschöpfungskette sollen dabei nicht nur die daten- und informationstechnischen Lösungselemente berücksichtigt, sondern auch die prozessualen und organisatorischen Implikationen bewertet werden. In diesem Zusammenhang soll die DMAIC-Methodik, der Kernprozess von Six Sigma, die produktlebenszyklusbasierte Datenflussarchitektur sinnvoll ergänzen. Die geplanten Arbeiten gliedern sich in drei Schwerpunkte

1. Ist-Analyse: Im Entwicklungs- und Produktionsumfeld wird die Orchestrierung von Prozessen, Organisationen, IT-Systemen und Modellen basierend auf den Ergebnissen des Datenflusses festgestellt und bewertet. Dafür werden sowohl bestehende als auch zukünftige Leistungsanforderungen berücksichtigt.

2. Performance-Bewertungssystem: Die anwenderkritischen Funktionen von zentralen IT-Systemen im Entwicklungsumfeld werden dargestellt. Ziel ist es, einen Prototyp bereitzustellen, der sicherstellt, dass das Entwicklungsumfeld die Erwartungen kontinuierlich erfüllt.

3. Nachhaltigkeitsanalyse: Trends im Kontext der Akteure des Entwicklungsumfelds werden systematisch identifiziert und in Zukunftsszenarien erprobt, um notwendige Schlüsselfaktoren zu ermitteln.

Ingenieurinnen und Ingenieure sollen auf Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnisse effizienter arbeiten. So lässt sich der komplexe Produktentstehungsprozess verkürzen, wodurch die Entwicklung klimaschonenderer Trägerraketenmodelle erheblich erleichtert wird. Zukünftige Forschungsprojekte sollen in diesem Sinne auch die Nutzung von klimaneutralen Energieträgern innerhalb des gesamten Produktlebenszyklus adressieren, so Thomas Kruschke, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IPK: »Nur durch klimaneutrale Lösungen kann die Raumfahrt künftig dazu beitragen, die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen und als Vorbild für andere Industriesektoren zu agieren.«

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