Pesquisa e Desenvolvimento

Forschung und Entwicklung

Seit 2012 unterstützt das Fraunhofer IPK den Ausbildungsdienst der brasilianischen Industrie SENAI beim Aufbau von Innovationsinstituten nach Fraunhofer-Vorbild.

Für die brasilianische Wirtschaft gab es zu Anfang des Jahrtausends nur eine Richtung: nach oben. Zwischen 2002 und 2011 wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um das Fünffache, von 508 auf 2600 Milliarden USD. Seitdem musste die neuntgrößte Volkswirtschaft der Welt mehrfach harte Schläge hinnehmen: Nicht zuletzt aufgrund mehrerer politischer Krisen und der Corona-Pandemie schrumpfte das BIP um fast ein Drittel auf aktuell etwa 1800 Milliarden USD.

Ein Gebiet, auf dem erhebliches Verbesserungspotenzial besteht, ist die Innovationsfähigkeit des Landes. Die brasilianische Wirtschaft fußt überdimensional auf Rohstoffexporten, vor allem von Soja, Kaffee, Fleisch und ähnlichen Erzeugnissen. Diese Produkte sind durchaus absatzstark. In der ersten Dekade des neuen Jahrtausends hat die brasilianische Wirtschaft damit imposante Wachstumsraten erzielt. Da die Zahlen aber auch durch hohe Ölpreise und Sozialprogramme unterfüttert waren, drängten Vertreter führender brasilianischer Industrieunternehmen schon damals auf eine Neuausrichtung der brasilianischen Ökonomie. Ihre Intention war eine Wende hin zu höherer Wertschöpfung, insbesondere in den technologischen Wirtschaftszweigen, ohne die ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum kaum möglich schien.

 

Hoher Bedarf für FUE

Die Initiative war überfällig: Industriebereiche, die technische Produkte hervorbringen, sind in Brasilien schwach ausgelegt. Im Bereich Hochtechnologie und elektronische Produkte ist Brasilien auf Importe angewiesen. Zudem ist die brasilianische Industriekaum innovativ, mit Ausnahme weniger Global Player wie des Kosmetikkonzerns Natura & Co oder des Flugzeugbauers Embraer S.A. Im Gegenteil: Forschung und Entwicklung gelten eher als Kosten denn als Investition, weil der Return unklar erscheint. Die Folge ist, dass in der Industrie bisher quasi keine Innovationskultur besteht.


Damit nicht genug, auch die anwendungsorientierte Forschung außerhalb der Industrie ist wenig ausgeprägt. Zwar verfügt Brasilien über solide Grundlagenforschung, die akademischen Kennzahlen haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten verbessert. Doch bis auf wenige Ausnahmen sind die Universitäten nicht aufgestellt für industrieorientierte Forschung. Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, die mit oder für die Industrie forschen, gibt es kaum. Im Wesentlichen forschen und entwickeln nur internationale Konzerne – und dies meist rein intern, aus den Zentralen außerhalb des Landes gesteuert und mit Fokus auf die sogenannte »Tropicalization«, die Adaption von Produkten an lokale Bedingungen.


Innovationskultur vom Reisbrett

Diese Defizite veranlassten CEOs der größten Industrieunternehmen des Landes zu einer Forderung: Eine nationale Initiative für Technologie und Innovation in der brasilianischen Industrie sollte her. Sie sollte die Wettbewerbsfähigkeit brasilianischer Unternehmen in der globalisierten Wirtschaft stärken. Mit den Ministerien für Wissenschaft, und Kommunikation (MCTIC) und für Industrie und Außenhandelsentwicklung (MDIC) konnte die Initiative wichtige politische Befürworter gewinnen, mit der brasilianischen Entwicklungsbank BNDES einen finanzstarken Partner.

Aus diesem Netzwerk heraus konnte der Dachverband der brasilianischen Industrie CNI schließlich den ihm untergeordneten nationalen industriellen Ausbildungsdienst SENAI mit der Einrichtung eines Netzwerks von 25 Innovationsinstituten (Portugiesisch Instituto SENAI de Inovação, kurz ISI) beauftragen, die FuE-Initiativen in die örtliche Industrie tragen würden. Die Institute sollten sich mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert sehen. Ihre Aufgabe wäre einerseits, die unternehmerischen Bedarfe der Industrie zu verstehen und sie in technologische Lösungen zu übersetzen. Gleichzeitig müssten sie mit der Industrie »in deren Sprache« sprechen, sich agil verhalten und Projektpläne und Liefertermine einhalten, um das Vertrauen der Industrie in FuE-Anbieter zu fördern.

© Fraunhofer IPK / Fabian Hecklau
Interaktiver Workshop mit Vertretern aller ISI zum Kompetenzaufbau
© Fraunhofer IPK / Fabian Hecklau
Technologieaudit am ISI for Laser Processing durch Mitarbeitende des Fraunhofer ILT und des Fraunhofer IPK

Für SENAI war der Aufbau solcher Einrichtungen zur angewandten Forschung eine neue Aufgabe. Zwar hatte die Organisation bereits technologische Dienstleistungen erbracht, zum Beispiel messtechnische Unterstützung und technische Beratung. Doch mit technologischer Entwicklung und Innovation war die Organisation mit rund 28 000 Angestellten an diversen Standorten in ganz Brasilien kaum vertraut.

Die SENAI-Zentrale in Brasília suchte daher nach internationalen Partnern, die die ambitionierte Strategie unterstützen könnten. Nach einem Benchmarking unter Organisationen für angewandte Forschung weltweit entschied SENAI, eine strategische Partnerschaft mit dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Fraunhofer-Gesellschaft anzustreben. Während das MIT mit Begleitforschung beauftragt wurde, wählte SENAI das Fraunhofer IPK als Partner für die Planung und praktische Umsetzung des geplanten nationalen FuE-Netzwerks. Zwei Argumente sprachen für das Berliner Institut: Neben langjähriger eigener Erfahrung in der angewandten Forschung überzeugten vor allem die erprobten Methoden und Referenzen auf dem Gebiet des Unternehmensmanagements zur strategischen Planung von Innovationssystemen.Strukturierter


Aufbau von 25 Instituten

Im Sommer 2012 begann der Aufbau der 25 Institute teilweise »auf der grünen Wiese«. Dabei lag der Fokus zunächst auf der Erstellung von Businessplänen für jedes Institut. Die Forschenden des Fraunhofer IPK wählten einen partizipativen Ansatz, bei dem die Strategien in Workshop-Serien vor Ort mit den Institutsverantwortlichen erarbeitet wurden. Dieses Vorgehen erwies sich als sehr kompatibel mit der brasilianischen Arbeitskultur. Als Ergebnis konnten nicht nur professionelle Businesspläne für den Hauptinvestor BNDES vorgelegt werden. Es erfolgte auch ein erster Wissenstransfer, und die Beteiligten entwickelten ein einheitliches Verständnis der eigenen Geschäftsstrategie.

In dieser ersten Phase der Zusammenarbeit mit SENAI gelang es dem Fraunhofer IPK, sich als verlässlicher Kooperationspartner zu etablieren. Mitte 2013 wurde der Beratungsvertrag aufgestockt und ein erster fünfjähriger Rahmenvertrag aufgesetzt, der bis 2020 verlängert wurde. Damit begann ein zweiter Projektabschnitt, in dem die Fraunhofer IPK-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die eigentliche Implementierung der 25 Institute durch den Aufbau geeigneter Management- und Support-Prozesse unterstützten. Dabei galt es, einerseits den agilen Startup-Charakter der Institute zu Beginn der Initiative zu erhalten, gleichzeitig aber auch das stetige Wachstum und nötige Ausdifferenzieren der Organisationsstrukturen sowie die kontinuierliche Professionalisierung der Institute und des gesamten Netzwerks zu untermauern.

 

Auditierung des Reifegrads

Die ersten zwei Projektphasen mündeten in die Entwicklung eines umfassenden Evaluationssystems in der dritten Phase. Dazu wurden im Fraunhofer IPK zwei Methodensets entwickelt. Das sogenannte »Management Audit« bewertet die Leistungsfähigkeit und Reife im Bereich der Strategie und des Managements der SENAI-Institute, um kontinuierlich Maßnahmen zu deren strategischer Weiterentwicklung abzuleiten und mit der SENAI-Leitung auf regionaler und nationaler Ebene abzustimmen.

Das zweite Methodenset befasst sich ergänzend mit der Bewertung der technologischen Leistungsfähigkeit der Institute. »Das von uns entwickelte ›Technology Assessment‹ und der anschließende ›Technology Dialogue‹ haben neben der systematischen Evaluation der technologischen Reife das Ziel, die Fachkontakte zwischen den einzelnen SENAI-Instituten und dem jeweiligen ›Schwesterinstitut‹ auf Fraunhofer-Seite zu stärken, um künftige Projektkooperationen anzuschieben«, erklärt Fabian Hecklau vom Fraunhofer IPK, der als stellvertretender Projektleiter die Entwicklung des Technology Assessments verantwortet.

Mittlerweile konnte das Projektteam die Auditierung der Managementreife der Innovationsinstitute an die SENAI-Zentrale übergeben und die zuständigen Experten dort mit methodischen Leitfäden, Tools und Templates sowie einer Reihe von Trainings befähigen. Das Fraunhofer IPK verantwortet weiterhin die Evaluation der technologischen Reife der Institute. In dieser Rolle fungiert das Berliner Institut als Methodenlieferant und als Drehscheibe innerhalb der Fraunhofer- Gesellschaft, um für jedes SENAI-Institut das technologische Pendant und die richtigen Technologieexperten innerhalb des Fraunhofer-Netzwerks einzubinden. Nach dem Vorbild der Fraunhofer-Institute bearbeitet auch jedes SENAI-Innovationsinstitut ein klar definiertes Technologie- und Forschungsfeld - branchenübergreifend und mit Mandat für den nationalen Markt.

Ausblick: Escalate auf vier Beinen

Inzwischen geht die strategische Partnerschaft des Fraunhofer IPK mit SENAI ins neunte Jahr. In dieser Zeit hat sie in Brasilien ein aktives Forschungsnetzwerk hervorgebracht. Das 26. Innovationsinstitut wurde bereits von SENAI selbst implementiert. Fraunhofer und SENAI heben derweil ihre Zusammenarbeit auf die nächste Ebene. Ein 2020 unterzeichneter neuer Rahmenvertrag, der den vielversprechenden Namen »ESCalate SENAI – Excellence, Sustainability, Cooperation« trägt, läuft bis Ende 2025.

Dieses Anschlussprojekt bringt das Fraunhofer IPK auf vier Ebenen mit SENAI zusammen: Auf der Ebene des einzelnen Innovationsinstituts wird die Evaluation der technologischen Reife fortgeführt. Auf der Ebene des gesamten ISI-Netzwerks bieten die Expertinnen und Experten des Fraunhofer IPK gezielte Trainings und Coaching-Einheiten im Bereich Strategie, Organisation und Managementmethoden für die Innovationsinstitute, die regionalen Departments in den Bundesstaaten sowie die SENAI-Zentrale an, wenn bei deren regelmäßigen Managementbewertungen ein entsprechender Bedarf aufgedeckt wird. So wird die Managementkompetenz im gesamten Netzwerk bedarfsgerecht entwickelt, um dessen Professionalisierung und Wachstum weiter zu unterstützen.

»Auf nationaler Ebene arbeiten wir an der strategischen Positionierung von SENAI im brasilianischen Innovationssystem«, erläutert Projektmitarbeiter Florian Kidschun. Er entwickelt Impact-Analysen, die den Wert des neuen Forschungsnetzwerks für die brasilianische Industrie und Gesellschaft herausstellen. Und schließlich wird auf internationaler Ebene die FuE-Kooperation weiter vorangetrieben – nicht nur, aber auch mit den Partnerinstituten auf Fraunhofer-Seite. Hier laufen bereits vielfältige Aktionen zur gemeinsamen Marktbearbeitung, um etwa deutsche Automobilhersteller mit Produktionsstandorten in Brasilien ganzheitlich, also »von beiden Seiten des Atlantiks«, im Bereich der digital vernetzten Produktion zu unterstützen.

© Instituto SENAI de Inovação em Processamento a Laser
Institutsgebäude des ISI Laser in Joinville, Santa Catarina

Ein Beispiel für ein SENAI-Institut, das im Rahmen des Projekts entstand, ist das ISI for Laser Processing. Es ist das erste Institut für Laserbearbeitung in Lateinamerika und adressiert die Themengebiete additive Laserfertigung, Laser-Oberflächenbehandlung sowie Laserschweißen und -schneiden. Das Institut unterhält eine enge Kooperation mit dem Fraunhofer IPK, zum Beispiel durch gemeinsame Forschungsprojekte.

© Instituto SENAI de Inovação em Processamento a Laser
Die additive Fertigung komplexer Strukturen ist Gegenstand des Projekts FERA.

Im Konsortialprojekt FERA entstehen additive Fertigungstechnologien zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit brasilianischer Werkzeughersteller in diesem Sektor. Seine Themen orien tieren sich an Bedarfen der lokalen Automotive und Werkzeugindustrie: halbautomatische additive Reparatur von Stanzwerkzeugen und additive Fertigung von Werkzeugen mit komplexen Geometrien, von Vorrichtungen und Ersatzteilen. »Unser Beitrag umfasst automatisierte Laserauftragschweißverfahren für die Reparatur von Werkzeugen für Karosserien und Strukturbauteile sowie eine Marktanalyse und Trainings zu additiven Technologien«, berichtet Dr. David Domingos vom Fraunhofer IPK, der die FuE-Kooperation zwischen SENAI und Fraunhofer treibt.

 

© Instituto SENAI em Sistemas Avançados de Saúde
Gesundheitslabor am ISI for Advanced Health Systems

Medizinische und pharmazeutische Themen sind Gegenstand der Forschung des SENAI Innovation Institute for Advanced Health Systems sowie des Institute for Green Chemistry. Das ISI for Advanced Health Systems in Salvador, Bahia, bedient ein breites Themengebiet von der Entwicklung von Impfstoffen, Adjuvantien, biologischen Arzneimitteln, Zell- und Gentherapieprodukten, diagnostischen Kits und medizinischen Geräten bis hin zu Bioprospektionsstudien, biologischen und diagnostischen Tests, klinischen Studien und Regulierungsprozessen.

Am ISI for Green Chemistry in Rio de Janeiro entstehen industrielle Lösungen mit alternativen Techniken und nachwachsenden Rohstoffen. Ziel der Forschung ist die Erzeugung effizienterer und kostengünstigerer Produkte und Prozesse, die den Einsatz und die Erzeugung gesundheits- und umweltschädlicher Substanzen reduzieren oder eliminieren.

© Instituto SENAI em Sistemas Avançados de Saúde
Die Verbesserung der SARS-COV-2-Diagnostik ist das zentrale Ziel des SENAI-Netzwerks für Molekularbiologie.

Die beiden Institute kooperieren im SENAI-Netzwerk für Molekularbiologie, das zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie in Brasilien ins Leben gerufen wurde. Das Netzwerk nimmt Notfallmaßnahmen für die Bereitstellung von Dienstleistungen zur molekularen Diagnostik von SARS-CoV-2 vor. Mittel- und langfristig soll es zudem die Industrie dabei unterstützen, neue Methoden, Produkte und Prozesse im Zusammenhang mit der angewandten Biotechnologie mit verschiedenen Industriesektoren zu etablieren.

Gegenwärtig befasst sich das Molecular Biology Network neben der Durchführung einer hohen Zahl von PCR-Tests mit Themen wie dem Design neuer SARS-CoV-2-Signalmoleküle, dem Nachweis von Viren in Wasser und Abwasser sowie neuen Ansätzen zur Nutzung von Probenpools bei der COVID-19-Diagnose.