Flexibel und robust

Zur unternehmerischen Resilienz gehört es, vorhandene Ressourcen und technologische Innovationen intelligent und agil miteinander zu verknüpfen.

Zukunftsfähigkeit heißt für produzierende Unternehmen, auf veränderliche Marktanforderungen agil zu reagieren, effizient neue Produkte und Fertigungskonzepte zu adressieren und technologische wie personelle Ressourcen nachhaltig auszubauen. Die deutsche Industrielandschaft mit ihrem großen Anteil mittelständischer Betriebe und ihrer hohen Fertigungstiefe ist geradezu dazu prädestiniert, eine resiliente Wertschöpfung zu gewährleisten.

Wie man dieses einzigartige Potenzial nutzt, um turbulente Zeiten zu überstehen, darüber machen sich nicht nur mittelständische Unternehmen Gedanken. Auch die wissenschaftliche Forschung entwickelt gezielte Strategien für die Produktionsprozesse der Zukunft. Welche der so gewonnenen Erkenntnisse können wir als produktionstechnische Expertinnen und Experten also an die Industrie weitergeben?

»Die Zukunft kann man am besten voraussagen, wenn man sie selbst gestaltet.«

Alan Kay

Quo vadis, Mittelstand?

Die im Mai 2020 erschienene McKinsey-Studie »How the German Mittelstand is mastering the COVID-19 crisis« zeichnet angesichts der aktuellen Disruptionen das Bild eines zuversichtlichen und resilienten Mittelstands. 77 Prozent der Befragten sehen optimistisch in die Zukunft, 79 Prozent geben an, sich antizyklisch zu verhalten. Allerdings haben nur 17 Prozent der befragten KMU tatsächlich Maßnahmen ergriffen, die über das operative Krisenmanagement hinausgehen. Aus den Ergebnissen erarbeitet die Studie einen Maßnahmenkatalog, mit dem sich der deutsche Mittelstand widerstandsfähig gegen kommende Krisen aufstellen kann. Die Schlüsselkomponenten: hohe Wandlungsfähigkeit und Flexibilität.

Konkret empfiehlt McKinsey, die Wettbewerbsverhältnisse neu zu beurteilen, neue Beziehungsverhältnisse mit Kunden einzugehen, antizyklisches Verhalten aktiv durchzusetzen und Beschaffungs- und Lieferketten neu zu bewerten. Für produzierende Unternehmen sind die erfolgversprechendsten Ansätze eine individuellere Fertigung, die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und digitaler Services sowie robuster aufgestellte Lieferketten mit höherer Gewichtung lokaler und regionaler Zulieferer.

Eine zweite repräsentative Sonderbefragung auf Basis des KfW-Mittelstandspanels von Anfang Juni 2020 bestätigt und ergänzt diese Erkenntnisse. Rund 2,3 Millionen oder 60 Prozent aller kleinen und mittleren Unternehmen gehen davon aus, dass sie die Folgen der Krise noch lange spüren werden. Dabei sind die Unternehmen des  verarbeitenden Gewerbes besonders betroffen. Sie bewerten ihre Geschäftslage »deutlich schlechter als die Mittelständler aller anderen Wirtschaftsbereiche«. Doch auch diese Umfrage sieht Lichtblicke. Denn die Befragten setzen nicht nur auf Kostenreduktion, Kurzarbeit oder Kündigung, sondern auch auf Innovationen: 43 Prozent aller Unternehmen haben trotz der negativen wirtschaftlichen Auswirkungen durch die Pandemie Produkte, Prozesse oder Geschäftsmodelle optimiert oder planen entsprechende Maßnahmen. Zum Vergleich: Zwischen 2016 und 2018 hatten lediglich 19 Prozent der mittelständischen Unternehmen Produkt- oder Prozessinnovationen etabliert.

Zusammengefasst sind sich mittelständische Unternehmen aus  Deutschland darüber im Klaren, dass sie disruptiven Veränderungen am besten durch eine resiliente Wertschöpfung und eine digital integrierte Produktion zuvorkommen. Wie können sie das in der Praxis gestalten?

© Protolabs
Additive Verfahren wie das hier gezeigte Direkte Metall-Laser-Sintern (DMLS) eröffnen neue Wege der Wertschöpfung für mittelständische Betriebe der Fertigungsindustrie.

Neue Technologien für Agilität …

Neue Wege der Wertschöpfung für das verarbeitende Gewerbe liegen in digital integrierten und werkzeuglosen Produktionsprozessen mittels additiver Fertigung. So ermöglicht beispielsweise eine digitale Rohteilerfassung in Verbindung mit einer automatisierten Ableitung von geeigneten Nacharbeitsschritten für additive Fertigungsprozesse eine effiziente, bauteilindividuelle Reparatur von Turbinenschaufeln. Auf Machine Learning basierendes Prozesswissen zur Nachbearbeitung additiv gefertigter Bauteile lässt sich schnell auf neue Produktklassen und Fertigungstechnologien übertragen. Dadurch erübrigen sich aufwendige und ergebnisoffene Parameterstudien mit begrenzter Transferierbarkeit.

 

… etablierte Technologien für Stabilität

Die beste Grundlage für mehr Flexibilität ist ein breiter, technologischer Erfahrungsschatz. Deshalb sollte auch die Bedeutung etablierter Fertigungstechnologien für die resiliente Wertschöpfung nicht unterschätzt werden. Der Vorteil dieser auf Expertenwissen basierenden Prozesstechnologien: Sie lassen sich auf neue Fertigungsaufgaben übertragen, ohne aufwendige Parameterstudien durchführen zu müssen. Oft bleiben technologische Potenziale leider ungenutzt, weil im Tagesgeschäft der industriellen Fertigung kein Fokus auf Prozessanalyse und Prozessoptimierung gelegt wird. Eine Reaktion auf plötzlich auftretende Veränderungen ist dann nur mit großem zeitlichen und finanziellen Aufwand möglich. Auch Unternehmen in hochanspruchsvollen Technologiefeldern können nachhaltig ihre Resilienz steigern, indem sie die Konzepte und Technologien der digital integrierten Produktion konsequent umsetzen. Mit Ansätzen wie der Zusammenfassung des Expertenwissens in digitalen Prozesszwillingen und der Umsetzung selbstkompensierender Closed-loop-Prozesse kann selbst in einem Technologiefeld wie der Ultrapräzisionszerspanung zur Fertigung von Kleinst- und Kleinserien ein anpassungsfähiges Produktionsumfeld gestaltet werden.

Diese Beispiele zeigen, dass Wandel möglich ist, ohne dass der deutsche Mittelstand seine Kernkompetenzen verlagern muss. Eine resiliente Wertschöpfung erfordert es, Entscheidungen für oder gegen ein Fertigungsverfahren nicht mehr auf subjektives Expertenwissen zu stützen. Starre Fertigungsprozesse haben damit ausgedient. Um sich wandelnden Anforderungen und Auslastungen gerecht zu werden, sind stattdessen faktenbezogenes Domänenwissen und flexible Fertigungsoptionen die Devise.