Aufatmen dank Open Source?

In der COVID-19-Pandemie sind lebensrettende Beatmungsgeräte Mangelware. Könnten offene Entwicklungsprozesse sie frei verfügbar machen?

© Fraunhofer IPK / Larissa Klassen

Zu Beginn der COVID-19-Pandemie wurde deutlich, dass weltweit ein Mangel an lebensnotwendigen Beatmungsgeräten herrscht – auch in Deutschland. Auf die erhöhte Nachfrage reagierten nicht nur die etablierten großen Hersteller. Auch andere Unternehmen, Forschungseinrichtungen und private Personen begannen, improvisierte Geräte zu entwickeln und zu produzieren. So hat sich eine aktive Bewegung herausgebildet, die mithilfe von Open-Source-Hardware eine Antwort auf die Lieferengpässe finden möchte. Im Projekt OPEN.Effect evaluieren Expertinnen und Experten des Fraunhofer IPK seit Mai 2020 die Leistungsfähigkeit und Wirksamkeit der Open-Source-Community für die Entwicklung und Fertigung von Beatmungsgeräten.

 

Open-Source-Hardware in der Medizintechnik

Offene Entwicklungsprozesse erlauben die Reduktion von Entwicklungszeit und -aufwand durch die Wiederverwendung von Konstruktionen und verteilter Entwicklung. Damit kann Engpässen während und nach der Herstellung vorgebeugt werden, selbst während einer Ausnahmesituation wie der COVID-19-Pandemie. So haben die freiwilligen Mitarbeiter der NGO Open Source Medical Supplies (OSMS) von April bis Mai 2020 rund 7 Millionen Artikel in über 50 Ländern hergestellt und verteilt – darunter Masken, Schutzbekleidung und medizinische Geräte. Dank des kollaborativen Charakters von Open-Source-Projekten sind, anders als bei proprietären Lösungen, die Ergebnisse breit nutz- und anwendbar.

Die gemeinsam gesammelten Daten werden offengelegt und dienen als Grundlage zur Weiterentwicklung der Projektergebnisse durch Forschungseinrichtungen und Unternehmen. Die Wissenschaftler des Projekts OPEN.Effect zeigen dabei Wege zur schnellen Erschließung der Potenziale der Open-Source-Community für die Entwicklung und Fertigung von Beatmungsgeräten auf.

 

»Bereits jetzt wird deutlich, dass Open-Source-Hardware proprietäre Technologieentwicklungen wirkungsvoll ergänzen kann, gerade auch um gemeinsam globale Krisen zu bewältigen.«

Sonika Gogineni

© phonlamaiphoto / Adobe Stock

Gemeinsame Qualitätsstandards

Ein fundiertes Verständnis für die Stärken und Herausforderungen von Open-Source-Hardware-Projekten erleichtert die Entwicklung nachhaltiger Lösungen und gemeinsamer Best Practices. Deswegen erhebt das Fraunhofer IPK gemeinsam mit der etablierten Open-Source-Community Public Invention Projektdaten. Public Invention evaluierte bereits Open-Source-Lösungen für Beatmungsgeräte im Rahmen seines Ventilator Verification Project. Das als Spreadsheet veröffentlichte Projekt bewertet 137 Konstruktionen von Beatmungsgeräten nach ausgewählten Kriterien wie Herstellbarkeit, Funktion, Zuverlässigkeit, Nutzerfreundlichkeit sowie behördlicher Zulassung. Für die Bewertung der Leistungsfähigkeit von Open-Source-Lösungen wurde die Kriterienliste in enger Zusammenarbeit zwischen Public Invention und dem Fraunhofer IPK erweitert. Gegenwärtig befindet sich das Projekt in einer Interviewphase, um die praktischen Erfahrungen und Einblicke der Community zu dokumentieren und für weiterführende Forschungsprojekte verfügbar zu machen. Die Ergebnisse finden Sie auf der Webseite des Fraunhofer IPK als Open-Access-Bericht.

»Bereits jetzt wird deutlich, dass Open-Source-Hardware proprietäre Technologieentwicklungen wirkungsvoll ergänzen kann, gerade auch um gemeinsam globale Krisen zu bewältigen«, sagt Sonika Gogineni, Projektkoordinatorin am Fraunhofer IPK. »Der große Vorteil ist, dass dringend benötigte Produkte direkt an den Einsatzorten hergestellt, gewartet und modifiziert werden können.« Dennoch stehen Open-Source-Produzenten vor vielfältigen Herausforderungen wie der Einrichtung von Lieferketten, der dezentralen Zertifizierung und der Integration von Feedback-Schleifen aller Beteiligten. Vor diesem Hintergrund stellt OPEN.Effect sicher, dass die entwickelten und produzierten Beatmungsgeräte alle notwendigen medizinischen Regularien einhalten und auch sicher hergestellt werden können.