Smart Maintenance für Highend-Maschinen

Expertengespräch

Wenn Maschinen und Anlagen langfristig zuverlässig arbeiten sollen, müssen sie intelligent überwacht und gewartet werden. In Zeiten der Digitalisierung funktioniert das natürlich mithilfe von KI – sie macht die sogenannte Smart Maintenance möglich. Im Gespräch mit FUTUR schildern Christoph Plüss, CTO der UNITED GRINDING Group, und Claudio Geisert, der am Fraunhofer IPK zu Wartung und Instandhaltung forscht, welche Vorteile Smart Maintenance verspricht und wie die Industrie sie für sich einlösen kann.

 

futur: Herr Plüss, welche Bedeutung hat das Thema Instandhaltung für einen Maschinenbau- Konzern wie United Grinding? Wären für Sie als Hersteller von Schleifmaschinen integrierte Smart Maintenance-Lösungen ein Differenzierungsfaktor im Wettbewerb?

 

Plüss:

Ganz klar, das Thema wird in Zukunft eines der ausschlaggebenden Differenzierungsmerkmale werden. Generell ist das Überholungsgeschäft, wir nennen es Rebuild, ein stabiler Pfeiler in der Servicedienstleistung. Unsere Maschinen sind Highend-Investitionsgüter und kosten teilweise so viel wie ein Einfamilienhaus. Wir wollen unseren Kunden maximale Investitionssicherheit bieten, gerade auch mit digitalen Lösungen.

 

futur: Herr Geisert, in welchem Bereich sehen Sie die größten Potenziale für Smart Maintenance?

 

Geisert:

Smarte Instandhaltung ist keine Insellösung, sondern setzt eine ganzheitliche Sicht voraus. Letztlich ist die datenbasierte, umfassende Smart Maintenance damit ein Wegbereiter für die Umsetzung von innovativen Geschäftsmodellen, sogenannten Industrial Product Service Systems. Bei den sogenannten Pay-Per-X-Modellen steht das Nutzenversprechen statt des reinen Produktverkaufs im Vordergrund. Dafür muss ich eine umfassende Kenntnis über meine Anlage im Feld haben.

futur: Seit wir von Industrie 4.0 sprechen, ist auch Smart Maintenance in aller Munde. Trotzdem tun sich bis heute viele Unternehmen mit der Digitalisierung in der Instandhaltung schwer. Wo liegen aus Ihrer Sicht die größten Hürden?

 

Geisert:

Zum einen ist Instandhaltung ein eher bodenständiger Bereich. Es geht darum, Maschinen operativ zu halten. Da tut man sich mit der Digitalisierung eher schwer. Insgesamt sehe ich auch, dass die Erwartungen an die Digitalisierung noch etwas überzogen sind. Nach Gartners Modell des »Hype-Zyklus« für neue Technologien sind einige der Technologien, die für Smart Maintenance genutzt werden können, noch nicht auf dem Pfad der Erleuchtung angekommen. Zum anderen wird der Instandhaltung im Vergleich zur Produktion oft ein niedrigerer Stellenwert eingeräumt, weil die Produktion Gewinne bringt und die Instandhaltung Geld kostet. Hier müssen Unternehmen anerkennen, dass die Instandhaltung einen großen Teil zur Wertschöpfung beiträgt.

 

Plüss:

Das Thema Digitalisierung ist ja eigentlich nichts weltbewegend Neues. Der Unterschied ist, dass wir heutzutage erstmalig in der Lage sind, entsprechend große Datenmengen mit IoT-Systemen zusammen zu speichern, zu verarbeiten und in Sekundenschnelle zu analysieren. Was das Thema aktuell noch bremst, ist die Bereitschaft von Kunden und Unternehmen, sich auf diese Vernetzung einzulassen. Wir spüren immer noch große Hemmnisse und müssen große Überzeugungsarbeit leisten. Man hat Angst vor Datenraub, das Thema Datensicherheit kommt meistens in jedem zweiten Satz wieder. Die Konzepte bestehen, die technischen Möglichkeiten sind da, aber es braucht hier viel Argumentation und in vielen Fällen einen Proof of Concept, einen Beweis, dass es wirklich funktioniert. Deshalb arbeiten wir ganz transparent mit Kunden und zeigen ihnen, welche Daten wir aus dem System ziehen. Hier wird es noch einen gewissen Wandel brauchen. Vielleicht ist das auch ein Generationenthema. Die Generation unserer Kinder wird anders mit diesen Themen umgehen. Aber heute gibt es noch viele Berührungsängste.

Hype-Zyklus nach Gartner Inc.

futur: Haben Sie außer den Transparenzversprechen noch weitere überzeugende Argumente für Ihre Kunden, was die Vernetzung angeht?

Plüss:

Kunden sind heutzutage kaum bereit, ihre Maschinen ständig am Netz zu haben. Unsere Lösung ist deshalb, dass der Kunde die Maschinendaten in seinem Firmennetz lokal auf einem Edge Device sammelt. Eine Vernetzung zu unserem System wird nur auf Anfrage des Kunden über den Remoteservice gewährt. Der Kunde kann selber bestimmen, wann er den Datentunnel öffnet und wann er ihn schließt.

 

futur: Es ist immer noch so, dass die Produktion Vorrang hat und die Instandhaltung als nachgelagerter Service angesehen wird. Wie lässt sich Instandhaltung besser als Teil der Wertschöpfung begreifen?


Geisert:

Es muss in die Köpfe der Verantwortlichen, dass nur mit einwandfrei funktionierenden Produktionsanlagen eine effiziente Produktion stattfinden kann. Wenn wir von Industrie 4.0 reden, reden wir von einem Ökosystem, in dem alle Stakeholder zur Erreichung einer effizienten Produktion miteinander kooperieren müssen. Wie Herr Plüss schon sagte, ist das nicht eine technische Hürde, sondern eher ein organisatorisches Thema.


Plüss:

Wir orientieren uns in Digitalisierungsfragen am Kundennutzen, nicht am Hype. Deshalb haben wir die ganze Wertschöpfungskette in eine Customer Journey aufgenommen und unterstützen unsere Kunden entlang des Produktlebenszyklus. Die Phase der Instandhaltung ist die längste Phase im Leben einer Maschine. Unsere Maschinen sind mehrere Jahrzehnte im Einsatz, da ist diese Phase eigentlich die elementare Phase in der Lifecycle-Betrachtung. Softwarelösungen, Updates und Upgrades können hier erhebliche Optimierung gewährleisten. Dabei ist es sehr wichtig, Daten zu erheben, weil sie Rückschlüsse auf die Sinnhaftigkeit bestimmter Prozesse zulassen. So können zum Beispiel unnötige Serviceaktionen vermieden werden, bei denen hohe Kosten für Arbeit und Ersatzteile anfallen können.

 

Geisert:

Hier hilft die Digitalisierung und die Erfassung vieler Sensordaten, Licht ins Dunkel zu bringen. Wie verschleißt meine Maschine abhängig von der Belastung, der sie in der Produktion ausgesetzt ist? Wenn wir hier bessere Erkenntnisse haben, die auf den erfassten Daten basieren, dann wird auch die Einsicht und das Verständnis, warum welche Maßnahmen notwendig sind, besser bei den Verantwortlichen ankommen.

 

Plüss:

Ein großes Problem in der Industrie ist bisher noch die stark proprietäre Denkweise. Der Endkunde lebt ja nicht nur von einem Lieferanten. Da gibt es viele Komponenten wie Sensoren und Steuerungsvarianten, und jeder versucht, sich sein Ökosystem zu sichern. Das macht die Analyse und Datenauswertung sehr mühsam. Wir arbeiten daher im VDW (Anm.: Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken) an einer universellen Schnittstellenbeschreibung für Maschinen.

 

Geisert:

Neben standardisierten Schnittstellen wären außerdem auch standardisierte Auswertungen sinnvoll. Bisher sind Ergebnisse unterschiedlicher Anbieter von Werkzeugmaschinen oft nicht vergleichbar, weil die Algorithmen nicht offengelegt werden.

 

futur: Inwieweit spielen Nachhaltigkeitsbetrachtungen im Kontext der Instandhaltung eine Rolle?

Plüss: 

Wir betrachten das Maschinenüberholungsgeschäft als Dienstleistung in unserem Komplettlösungspaket. Wenn ein Kunde eine Maschine verschrotten will, bieten wir zum Beispiel an, die Maschine zurückzunehmen und zu überholen. Diese sogenannten Second Life-Maschinen sind bei uns in bestimmten Märkten sehr gefragt, zum Beispiel als Einstiegsmaschinen für Kunden, die sich eine neue Maschine nicht leisten können. Im Sinne der Nachhaltigkeit ist das eine saubere Lösung.

 

Geisert:

Instandhaltung ist per se nachhaltig, da sie versucht, die Ressourcen möglichst lange sinnvoll einsetzbar zu halten. Es leuchtet sicher ein, dass eine nicht gut gewartete Anlage auch mehr Energie verbraucht als gedacht. Wir nutzen auch für das Condition Monitoring die Antriebsströme und werten diese aus. Hier sehen wir einen direkten Zusammenhang mit dem voranschreitenden Verschleiß. Durch die erhobenen Daten können wir außerdem Optimierungspotenziale für bestehende und zukünftige Anlagen sehen und so Feedback to Design geben.

Christoph Plüss

© Privat
Christoph Plüss, United Grinding

ist seit zehn Jahren bei United Grinding tätig. Seit April 2019 ist er Chief Technology Officer (CTO) des Unternehmens.
Die UNITED GRINDING Group ist mit einem Umsatz von rund 700 Millionen Euro weltweit einer der führenden Hersteller von Präzisionsmaschinen für das Schleifen, das Erodieren, das Lasern, das Messen sowie die Kombinationsbearbeitung